1575 - Der Gesang des Lebens
Estartu. Die Krieger existierten zwar nicht mehr, soviel wußten sie, doch keiner konnte genau sagen, wie viele vom früheren Unterdrückungssystem in den zwölf Galaxien überlebt hatten.
Sothalk war eine harte Sprache.
Die Laute klangen barbarisch. In den langen Jahren, die er mit den Menschen und in der Milchstraße verbracht hatte, war er vielfältiger Schönheit begegnet. Aber die Sprache der Krieger drückte hauptsächlich Gewalt aus.
Viele Worte für den Krieg, aber nur wenige für Ethik oder Kunst. Und dennoch war es die Sprache, in der er früher einmal gesungen hatte. Früher ... Als er auf Mardakaan die Singschule Nambicu ara wada gegründet hatte.
Aber das war lange her, mehr als siebenhundert Jahre.
Niemand außer den Computerspeichern würde dort mehr seinen Namen kennen. Oder doch?
Hatte die kurze Zeit seines Wirkens genug Eindruck hinterlassen, daß man ihn zu den Großen Sängern erhoben hatte? Dann wären seine Kompositionen heute Bestandteil dessen, was jeder ophalische Sänger oftmals zu hören bekam; ein Teil der großen Lehrstücke, wieder und wieder aufgeführt in den Akustikdomen. „Hörst du mir überhaupt zu, Salaam Siin? Einmal mußt du mir verzeihen! Einmal mußt du einsehen, daß ich nur getan habe, wozu man mich gezwungen hat! Erinnerst du dich an den langen Flug mit der ROBIN? Von der Milchstraße bis vor die Tore von Estartu?"
„Ich erinnere mich gut", sang er gegen seinen Willen. „Dann weißt du, wie ich behandelt wurde! Ständig wurde ich mit Mißtrauen verfolgt! War es da ein Wunder, daß ich begann, mich zu wehren? Man nennt mich einen Intriganten. Aber das ist nicht wahr. Ich bin lediglich einer, der interpretiert!"
Salaam Siin wandte müde den Kopf, der auf einem langen, ausfahrbaren Hals saß. Seine Augenknospen richteten sich auf die Gestalt, die vor ihm stand. Stalker, mit vollem Namen Sotho Tal Ker, hatte die unschuldigste Miene aufgesetzt, die seinem gepanzerten Drachengesicht mit den Dreiecksaugen zur Verfügung stand.
Und Salaam Siin wäre beinahe darauf hereingefallen. „Du bist ein Meister der Verdrehung", antwortete er mit aufkommendem Zorn. „Manchmal glaube ich, die Lüge ist deine zweite Natur. Selbst wenn du mit der Wahrheit an dein Ziel kämst, du würdest dennoch den Umweg über die Lüge wählen."
Wuchtige Baßtöne durchsetzten seinen Gesang, und er steuerte die psionische Komponente so, daß ein leichter Überzeugungseffekt entstand. Jedes andere Lebewesen hätte mit Reue und Verständnis reagiert.
Nicht so Stalker - der andere drehte den Spieß einfach um, weil er gegen psionische Impulse immun war.
Der Sotho erzeugte Schuldbewußtsein in ihm, dem Sänger.
Es war das erste Mal seit dem
15.
Dezember 1172 NGZ, daß sich Salaam Siin zu einer Diskussion mit Stalker hinreißen ließ. Seit dem Datum, da Stalker versucht hatte, die ROBIN mit Alaska Saedelaere, Ronald Tekener und Dao-Lin-H’ay an Bord zu kapern. Der Plan war fehlgeschlagen, doch als Ersatz hatte Stalker die HARMONIE kapern können. Und seitdem waren die zwei unterwegs nach Estartu. Salaam Siin war der Pilot, und Stalker war der Kapitän. Ein ophalischer Meistersänger lebte für den Frieden. Selbst wenn er um sein Schiff hätte kämpfen wollen, er hätte nur verloren. Daher herrschte zwischen ihnen beiden ein Status quo.
Salaam Siin widersetzte sich nicht, doch er sprach weder gern mit Stalker, noch half er ihm.
Stalker breitete die knochigen Arme aus. „Habe ich dir je etwas zuleide getan, Sänger? Nein! Gewiß, ich habe den Kurs bestimmt. Aber war es nicht auch dein Ziel, die zwölf Galaxien zu erreichen? Wenn die ROBIN und MUTTER ankommen, werden sie ziellos umherfliegen. Wenn wir dagegen da sind, steuern wir geradewegs aufs Ziel zu. Bedenke, wer ich bin!
Ein naher Vertrauter der Superintelligenz ESTARTU!"
„Ach!"
Salaam Siin ließ einen höhnischen Akkord folgen, dann eine verspielte Melodie, die in einer fürchterlichen Dissonanz endete. Mit anderen Worten, er glaubte dem Sotho keine einzige Silbe. „Seit wann bist du ein Vertrauter ESTARTUS? Du wirst nicht erwarten, daß ich mich derart täuschen lasse!"
„O doch", erklärte Stalker feierlich. „Denn es handelt sich nicht um eine Täuschung. Es ist wahr, ich habe mich am Shant-Tor nicht als Sotho, sondern als Pterus zu erkennen gegeben. Daraufhin nahm man uns beide fest.
Dieser Fehler aber entspringt ganz anderen Motiven, als du denkst. Ich wußte sehr wohl über die Rolle der Pterus nach dem Fall der
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