1629 - Die blaue Schlange
ihre Gefühle für ihre Eltern wären auch nicht anders gewesen, wenn diese ihre leiblichen Eltern gewesen wären.
Ein Schock war jedoch die Eröffnung gewesen, daß ihr Leben akut bedroht war.
In einer ersten Reaktion hatte sie sich vollkommen aus der Öffentlichkeit und von ihren Freunden zurückgezogen. Danach hatte sie die Nähe einiger Freundinnen gesucht und war mit ihnen zu einer Kampfsportschule gegangen. Dann hatte sie sich daran gewöhnt, stets und bei jeder Gelegenheit eine Individualsphäre zu tragen, die sie hermetisch und absolut sicher gegen jede Gefahr abschirmte.
Doch als die Jahre verstrichen, ohne daß sich etwas ereignete, als sie in dieser Zeit nicht ein einziges Mal eine Situation erlebte, die ihr gefährlich erschien, begann ihre Aufmerksamkeit nachzulassen. Sie sehnte sich danach, wieder mal einen anderen Menschen berühren zu können, und sie legte ihre Individualsphäre immer öfter ab.
Neun Jahre nach dem Tod von Theadran dachte sie kaum noch an die Gefahr, die ihr drohte, und auch ihre Eltern verzichteten mehr und mehr darauf, sie zur Vorsicht zu ermahnen.
Sie lernte einen jungen Wissenschaftler kennen, der schon seit Jahren in einem Forschungsinstitut auf Sphinx arbeitete. Als er von dem Schicksal erfuhr, das ihr drohte, drängte er sie erschrocken dazu, ihren Schutzschirm sofort wieder einzuschalten und ihn wirklich nur dann abzubauen, wenn Sie sicher sein konnten, daß sie nicht in Gefahr war.
Challenga vertraute ihm mehr und mehr, und wenn sie mit ihm ausging, um eine der vielen öffentlichen Veranstaltungen zu besuchen, schützte sie sich durch den Schirm vor Angriffen.
Zugleich scheute sie den körperlichen Kontakt mit ihm.
Als sie eines Tages fröhlich von einem Fest zurückkehrten, auf dem sie ausgelassen getanzt hatten, verabschiedete er sich wie üblich von ihr vor ihrem Haus. „Meinst du nicht, daß ich endlich einen Kuß verdient habe?" fragte er lächelnd. „Wir kennen uns nun schon seit Wochen - in einer so langen Zeit haben andere Paare das ganze Spiel einer Liebe beginnend vom Flirt bis hin zur Zeit der Zärtlichkeit und schließlich der Trennung schon hinter sich."
Sie lachte, schaltete die Individualsphäre aus und schmiegte sich an ihn, um ihm ihre Lippen zu bieten.
Im nächsten Moment fühlte sie einen feinen Einstich an der Unterlippe. „Du beißt mich ja", rief sie und drückte ihn von sich.
Er griff sich ans Gesicht und zog eine Folie aus lebender Substanz herunter. Entsetzt blickte Challenga in ein Gesicht, das dem ihren bis ins Detail glich. „Du bist...", stammelte sie. „Saudra", lächelte ihr Gegenüber. „Du bist..." brachte Challenga mühsam hervor. „Nein, ich nicht. Du bist... tot!" Saudra warf ihr die Maske vor die Füße.
Challenga griff sich an den Hals. Vergeblich versuchte sie zu schreien. Sie brachte keinen Laut mehr hervor. Kraftlos stürzte sie zu Boden. „Nun bin ich schon fast am Ziel", sagte Saudra ungerührt. Sie legte der Sterbenden ein Schmuckstück auf den Nacken. Es hatte die Form einer gefiederten Schlange und bestand aus einem blauen Edelstein. „Ihr seid mir alle nicht gewachsen!"
Ruhig und ohne besondere Eile ging sie davon, stieg in einen Gleiter und schien sich von diesem Moment an in Luft aufgelöst zu haben. Die Behörden fahndeten in den folgenden Stunden nach ihr. Sie riegelten alle Raumhäfen ab und führten danach auch über Monate hinweg schärfste Kontrollen durch.
Ohne Erfolg.
Im Jahr 1181 NGZ lebten nur noch drei der ehemals sieben Schwestern. Saudra hatte perfekt gearbeitet. Sie war ebenso intelligent wie rücksichtslos vorgegangen, und Tadar Deponar fürchtete sie mehr denn je. Alle Versuche, sie aufzuspüren und aus dem Weg zu räumen, waren gescheitert. Obwohl der Schöpfer der Siebenlinge große Summen als Belohnung aufgeboten hatte, kam keiner der von ihm angeheuerten Mörder auch nur in die Nähe von Saudra.
Sie war wie ein Schemen, der nicht zu fassen war. „Ich habe mich ein wenig umgehört, Vater", sagte Alnora.
Sie setzte sich zu Tadar Deponar in den Salon seines Hauses, das in den letzten Jahren zu einer Art Festung umgebaut worden war. „Du hast geglaubt, daß du diese Dinge vor mir geheimhalten kannst, aber damit hast du nur meine Neugier geweckt."
Er blickte von den Notizen auf, an denen er gearbeitet hatte. „Wovon sprichst du, Liebes?" fragte er. „Mir ist aufgefallen, daß du weitaus mehr um meine Sicherheit besorgt bist als andere Väter um die ihrer Töchter", erwiderte er
Weitere Kostenlose Bücher