1629 - Die blaue Schlange
getroffen habe. Auf den Kopf habe ich gezielt, aber sie hat sich zu schnell bewegt."
Sie blickte ihn herausfordernd an. „Wenn du es meinem Vater erzählst, streite ich alles ab", fügte sie hinzu. Dann lächelte sie erneut, wandte sich um und hüpfte davon, immer wieder von einem auf das andere Bein springend.
Sie bot das Bild eines fröhlichen und unbeschwerten Mädchens, das sich nicht anders verhielt als alle anderen Mädchen ihres Alters. Doch sie war nicht so, wie sie sich gab.
Sie unterschied sich deutlich von ihren Geschwistern.
Tadar Deponar war sich dessen sicher, daß Alnora niemals in der Lage gewesen wäre, irgendjemanden in dieser Weise zu verletzen und zu gefährden. Sie hätte noch nicht einmal gewußt, wie sie es anstellen mußte, wenn sie ein Stück Kristall in dieser Weise auf jemanden schießen wollte. „Was ist los?" fragte Gendal Jumphar, der erst in diesem Moment aus der Halle kam und sich zu ihm gesellte. Die schwarzen Augen blickten den Wissenschaftler forschend an.
Tadar Deponar überlegte, ob er etwas gegen Saudra unternehmen sollte. Ihr Anschlag auf Alnora war ein Alarmzeichen für ihn, verriet er doch, daß sie Aggressionen in sich aufgebaut hatte, die es eigentlich bei ihr nicht hätte geben dürfen. In dem wissenschaftlichen Programm, das dem Gen-Experiment vorangegangen war, hatte es dafür keinen Platz gegeben.
Er mußte sich um Saudra kümmern. Flüchtig dachte er daran, sich des Freundes Gendal Jumphar zu bedienen und ihn und seine Organisation auf Saudra anzusetzen, doch dann verwarf er den Gedanken wieder. Saudras Verhalten war ein wissenschaftliches Problem. Für eine Geheimdienstorganisation war es ohne Interesse.
Tadar Deponar war eng mit Jumphar befreundet, doch ebenso wie dieser ihm nicht alles sagte, hatte er auch vor ihm einige Geheimnisse. So hatte er ihn nicht über das verbotene Experiment informiert, aus dem die sieben Klonschwestern hervorgegangen waren. Er hatte sich vorgenommen, es ihm irgendwann später einmal zu sagen.
Demun Targ hielt den Film an und unterbrach damit das Studium der Aufzeichnungen. Er war überrascht. Er hatte nicht damit gerechnet, daß sich bei einem der sieben Mädchen eine so deutliche charakterliche Abweichung ergeben würde.
Er blickte wieder auf sein Chronometer. Das Raumschiff hatte das Solsystem erreicht. Jetzt drosselte es die Geschwindigkeit. Erst wenn die Mannschaft erwachte, würde es auf Zielkurs gehen.
Gendal Jumphar hatte also zum Freundeskreis von Tadar Deponar gehört. Er fürchtete diesen Mann, und er haßte das Gehabe eines Großinquisitors an ihm!
Das Chronometer zeigte das Jahr 1168 NGZ an, als Reged Anpar das Arbeitsbüro von Tadar Deponar betrat. Alnora war bei ihrem Vater. Sie zeigte ihm die Zeugnisse, die sie erhalten hatte, und sie erntete reichlich Lob von ihm. Jetzt erhob sie sich, um den Raum zu verlassen.
Lächelnd und voller Stolz ging sie an dem Assistenten vorbei.
Er blickte ihr nach, bis sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte. Sie hatte sich zu einem außerordentlich hübschen Mädchen entwickelt. „Ich staune immer wieder", sagte er zu Deponar. „Ich fördere Alnora, wo immer ich kann", erwiderte der Wissenschaftler. „Sie erfährt jede nur mögliche Unterstützung.
Ich habe große Pläne mit ihr. Eines Tages wird sie als akonische Rätin Karriere machen."
„Hoffentlich stellt sich ihr niemand in den Weg", bemerkte der Assistent.
Deponar blickte ihn verwundert an. „Wer sollte das tun?"
„Ich weiß nicht." Er setzte sich dem Adoptiwater des Mädchens gegenüber in einen Sessel. „Was ist los?" fragte Deponar. „Du siehst besorgt aus."
„Das bin ich auch, Tadar. Vor wenigen Minuten habe ich eine schlimme Nachricht erhalten. Eines der Mädchen ist tot."
„Welche?" Tadar Deponar verkrampfte erschrocken die Hände vor der Brust. „Arnirla", erklärte sein Mitarbeiter, der ihm im Laufe der Jahre zum Freund geworden war. „Sie befand sich auf der Jagd. Zunächst deutete alles auf einen Unfall hin, bis die Obduktion ergab, daß sie unmittelbar vor ihrem Tod paralysiert worden war."
„Und was bedeutet das?" wollte Deponar wissen. „Jemand hat sie bewegungsunfähig gemacht und dann den Angriffen eines Raubtieres ausgesetzt", eröffnete ihm sein Assistent. „Es war einwandfrei Mord."
Der Schöpfer der sieben Mädchen war so schockiert, daß er nicht in der Lage war, etwas zu erwidern oder eine Frage zu stellen. „Die Behörden haben den Fall untersucht", fuhr Reged Anpar fort.
Weitere Kostenlose Bücher