1648 - Die Spiegelgeborenen
alten Baby natürlich nicht Kalkül sein, aber als einen ersten Hinweis auf Temperament oder Charaktereigenschaften konnte sie es durchaus bewerten.
In der Art eines gewissen angeborenen, womöglich von Spyke ererbten Mißtrauens dem ganzen Universum gegenüber.
Saira merkte an beiden immer mehr Ähnlichkeit zu Spyke. Abgesehen vom Teint, bildete sich bei beiden Mädchen eine etwas vorgewölbte Stirn heraus. Dieses vincranische Merkmal war jedoch keineswegs so stark ausgeprägt, daß es die Mädchen unansehnlich erscheinen ließ. Im Gegenteil, es verlieh ihnen einen charmanten exotischen Hauch.
Die beiden Mädchen hielten sie ganz schön in Trab, so daß sie keine Zeit hatte, sich ständig an das schreckliche Intermezzo auf Zwottertracht zu erinnern. Obwohl Saira in den ersten Wochen nach der Rückkehr unter Alpträumen litt, in denen ihr Prozessionen von Zwotterfrauen erschienen, die furchtbaren Ritualen nachgingen und ihr geheimnisvolle Prophezeiungen machten, kam sie rasch über diese Phase hinweg. Denn Mila und Nadja hielten sie wirklich in Atem, obwohl sie zum Glück nicht ganz auf sich allein gestellt war.
Der gäanische Sozialdienst, der mehr als 20 Jahre nach Monos besser denn je organisiert war, gab ihr jegliche Unterstützung und stellte ihr sogar einen robotischen Babysitter zur Verfügung. Sie nannte ihn Argus, weil ihm nichts entging und er schon Virenalarm gab, wenn sie sich nur schneuzte.
Saira hatte zu Argus jedoch kein umfassendes Vertrauen und programmierte ihn, lediglich die Gesundheit und Bedürfnisse der Zwillinge zu kontrollieren und den Diätplan zusammenzustellen.
Sie ließ es dagegen keineswegs zu, daß er sie wickelte oder gar fütterte.
Womöglich hätten ihre beiden Mädchen ein ganzes Leben unter Roboterphobie zu leiden, wenn sie dauernd von synthetischen Werkzeugen betatscht wurden. Wenn Saira mal eine Atempause gegönnt und sie der Meinung war, daß es den Zwillingen an nichts mangelte, dann desaktivierte sie Argus kurzerhand, um auch vor seiner Bevormundung Ruhe zu haben.
Solche Eigenmächtigkeiten trugen ihr zwar jedesmal Rügen des Kinderarztes ein, der einmal in vierzehn Tagen vorbeikam, um die Zwillinge zu untersuchen und das Robotprotokoll einzusehen. Aber diese Freiheit gönnte sie sich, denn sie wollte nicht zur Sklavin ihrer Kinder werden.
Um nicht ganz in der Einsamkeit ihres Hauses zu versauern, fuhr Saira manchmal mit dem von ihrer Mutter geerbten klapprigen Schweber nach Sol-Town. Entweder zu einem Bummel und um Einkäufe zu tätigen oder Dr. Ralf Pyriner, dem Kinderarzt, den Weg zu ihrem Haus zu ersparen. Bei einer solchen Gelegenheit lernte sie Grady-Coll kennen.
Er war Vincraner. Saira fiel immer wieder auf Vincraner herein.
Grady-Coll war eine seltsame Mischung aus Charmeur und Rüpel. Er machte sich über die Zwillinge an sie heran, indem er sie mit Schnullern und anderem Babykram überhäufte. Aber nachdem sie ihn ins Haus eingeladen und er sein Ziel erreicht hatte, kehrte er den Macho hervor und führte sich wie der Herr des Hauses auf. Und dies schon am ersten Abend - einen zweiten gab es nicht mehr.
Saira sah ihren Fehltritt ein und beschloß, Grady am nächsten Morgen vor die Tür zu setzen.
In dieser Nacht begann indes eine unheimliche Serie, die Saira die furchtbaren Erlebnisse von Zwottertracht immer wieder ins Gedächtnis rief und sie bald zu der Überzeugung kommen ließ, daß die Zwotterfrauen irgend etwas mit ihren Mädchen angestellt und sie in ihren Bann geschlagen hatten.
*
Natürlich hatte Saira Argus über Nacht desaktiviert. Denn ihr war es lieber, wenn Dr. Pyriner die Aktivierung aus dem Protokoll herauslas, als die Berichte über Männer in ihrem Haus. Ihr Privatleben ging schließlich niemanden etwas an.
Irgendwann nach Mitternacht wurde sie durch heftiges Weinen, begleitet von Hustenanfällen, geweckt. Sofort eilte sie ins Kinderzimmer und stellte entsetzt fest, daß Nadjas Gesicht vor Fieber glühte und sie regelrechte Erstickungsanfälle hatte. Durch ihr Husten hatte sie Mila geweckt und zum Weinen animiert. Da Saira keine Ahnung hatte, was in einem solchen Fall zu tun sei, aktivierte sie Argus.
Kaum war er im Einsatz, alarmierte der Roboter einen Rettungsgleiter, ohne Saira lange zu fragen. Argus informierte sie davon erst hinterher unter heftigen Vorwürfen und begründete seine Handlungsweise damit, daß Nadja sofort ärztlicher Betreuung bedürfe.
Zehn Minuten später traf die Ambulanz ein, und Saira stand vor der
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