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1648 - Die Spiegelgeborenen

Titel: 1648 - Die Spiegelgeborenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannt
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Entscheidung, ob sie Nadja begleiten und damit Mila gleichzeitig Argus' alleiniger Fürsorge überlassen sollte. Aber da es auch noch um Grady-Coll ging, entschied sie sich erst einmal zum Bleiben und wollte Nadja erst später ins Krankenhaus folgen.
    Da Mila das Weinen vorerst eingestellt hatte, begab sich Saira ins Schlafzimmer, um Grady zum Verschwinden zu bewegen. Der kehrte jedoch den Rüpel hervor und wollte gegen sie sogar tätlich werden. Saira sah seine erhobene Hand sich wie in Zeitlupe auf sich zubewegen.
    Und dann legte auf einmal Mila los. Und wie! Ihr furchtbares Schreien ließ Grady innehalten.
    Für einen Moment schien die Welt stillzustehen.
    Als wieder Milas Schreien und Würgen und Röcheln einsetzten, packte Grady-Coll seine Siebensachen und sprang damit durchs offene Fenster in die Nacht hinaus. Saira sah ihn noch gehetzt laufend in der Dunkelheit verschwinden, bevor sie ins Kinderzimmer eilte.
    Das Herz krampfte sich ihr bei Milas Anblick zusammen. Das Gesichtchen war blau angelaufen. Arme und Beine zuckten konvulsivisch. Speichel quoll ihr in Schüben aus dem Mund, und dazu röchelte sie auf eine Art, wie man es von einem sechs Monate alten Kleinkind noch nie gehört hatte. Nur ein weidwundes Tier mochte solche Laute von sich geben.
    Argus stand ratlos daneben: ein mit allen Mitteln für jegliche medizinische Vorsorge ausgestatteter Koloß - und in dieser Situation dennoch hilflos wie ein Haufen Blech. „Ich habe alles versucht", sagte der Roboter, während Saira ihre Tochter hastig aufnahm, sie abklopfte und wiegte und tausenderlei verzweifelte Dinge tat, um ihre Erstickungsanfälle zu lindern, „aber ich kann Mila nicht helfen. Die Ambulanz wird gleich eintreffen."
    „Wenn mein Mädchen stirbt, dann ...", schrie Saira außer sich, verstummte aber, als sie die Sinnlosigkeit einer solchen Drohung gegenüber einer syntrongesteuerten Maschine einsah.
    Mila starb nicht. Aber geholfen werden konnte ihr auch nicht. Die Mediziner konnten weder während des Fluges in der Ambulanz eine Diagnose stellen noch später im Spital. Alle Befunde bescheinigten ihr beste Gesundheit.
    So kerngesund sie angeblich auch war, ihre an Epilepsie gemahnenden Anfälle konnten durch keine Medizin abgestellt werden. Mila beruhigte sich wie durch ein Wunder von selbst, als die Ambulanz sich dem Krankenhaus von Sol-Town näherte. Und sie schlief friedlich ein, als sie im Zimmer ihrer Zwillingsschwester Nadja mit dieser Bett an Bett lag.
    So erleichtert Saira über den glücklichen Ausgang dieser schrecklichen Nacht war, sie betrachtete ihre Zwillinge nachdenklich, wie sie so friedlich und einträchtig nebeneinander lagen. War es bloß Zufall, oder hatte es eine besondere Bedeutung, daß sie einander die winzigen Hände entgegenstreckten, eine die der anderen zu suchen schien?
     
    *
     
    Obwohl Saira ihren Vorsatz aus den schwersten Stunden ihres Lebens nicht als ernsthaftes Gelübde betrachtete, stellte sie ihr Leben um. Keine Zufallsbekanntschaften mehr - und für eine feste Bindung hatte sie ohnehin nie eine Chance besessen. Auch wenn sich in den folgenden Jahren die eine oder andere Möglichkeit ergeben sollte, so wollte sie diese ihren Mädchen opfern.
    Da war zum Beispiel Dr. Ralf Pyriner, der Mila und Nadja schon als Kleinkinder behandelt und unter Beobachtung gehalten hatte. Er war auch in späteren Jahren überaus an ihrem Werdegang interessiert und hörte sich Sairas Schilderungen über das schwierige Zusammenleben mit ihnen aufmerksam an. Allerdings schien er ihren Schlußfolgerungen nicht zu glauben, die sie daraus zog, daß Mila und Nadja in absoluter Abhängigkeit zueinander standen, schier unzertrennlich waren. Er fand es als völlig natürlich, was Saira als ungewöhnliche und mystische Konstellation darlegen wollte.
    Er versuchte, sehr einfühlsam zu sein, und was er sagte, klang klug und logisch. Nur Saira urteilte gefühlsmäßig und war sicher, daß Logik und Allerweltsregeln nicht auf ihre beiden Mädchen anzuwenden waren.
    Ralf wollte ihr klarmachen, daß es nicht weiter besorgniserregend war, wenn man Geschwister bei allen möglichen Gelegenheiten Hand in Hand antraf oder wenn sie im Schlaf einander umarmten. Besonders eineiige Zwillinge hatten eine starke Bindung aneinander, das hatte man schon vor Jahrtausenden festgestellt. Ja, es war sogar bewiesen, daß eineiige Zwillinge, die ein halbes Leben lang Lichtjahre - selbst seit der Geburt - voneinander getrennt waren und unter unterschiedlichsten

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