1664 - Die Schöne und die Grausame
schütteln.
»Und ich werde es bekommen!«
Tim Helling schielte nach links. Dort lag Elena auf dem Boden. Sie hatte sich für ihn eingesetzt, so dachte er. Dass es ein Spiel gewesen war, der Gedanke kam ihm nicht. Und jetzt stand Tabea vor ihm.
Die Vampirin fletschte die Zähne. Dabei stand ihr Mund so weit offen, dass er die beiden spitzen Hauer nicht übersehen konnte. Sie waren das wirklich Gefährliche an ihr, und durch das Öffnen des Mundes hatte sich ihr sonst so glattes Gesicht in eine Fratze verwandelt.
Sekundenlang nahm Tim diesen furchtbaren Anblick in sich auf. Dann kam Tabea zur Sache.
Wieder bewegte sie sich so schnell, dass Tim es nicht schaffte, ihr auszuweichen. Beide Fäuste rammte sie in seine Achselhöhlen, sodass er das Gefühl hatte, seine Arme würden ihm weggerissen. Einen Augenblick später packte sie zu, und plötzlich schwebte Helling über dem Bühnenboden.
Tabea drehte sich mit ihrer Beute. Nur halb, denn so konnten die Zuschauer alles sehen. Sie bekamen mit, dass der Mann schlaff im Griff der Grausamen hing, deren Gesicht plötzlich anders aussah. Besonders um den Mund herum. Zudem ragten aus dem Oberkiefer zwei spitze Zähne, und aus dem Publikum rief jemand: »Das ist ein Vampir!«
Darauf schien Tabea nur gewartet zu haben.
»Jaaaa…!«, schrie sie. »Ich bin eine Wiedergängerin, die aus einer anderen Welt gekommen ist. Ich war mal im Paradies der Druiden so etwas wie eine Hexe. Damit war ich nicht zufrieden. Ich wollte mich verändern und habe mich zu einer Blutsaugerin machen lassen, um meine Opfer in einer neuen Welt zu suchen. Ich habe Aibon verlassen und bin schon seit einiger Zeit hier. Ich habe mir Elena gesucht und sie zu meiner Schwester gemacht. Die Schöne und die Grausame, wir bilden ein Team und niemand kann uns stoppen. Und ich habe erlebt, wie gut mir das menschliche Blut mundet. Es kann sich mit meinem alten Druidenblut vermischen, und das ist neu für mich. Ich werde euch beweisen, wozu ich fähig bin. Ihr sollt Zeugen werden, wie ich mich satt trinke…«
Es waren ihre letzten Worte. Jetzt schleuderte sie ihre Beute herum, ließ sie dabei fallen und fing sie mit dem rechten Arm ab. Der Nacken lag auf ihrer Hand, und so bereitete es ihr keine Mühe, den Kopf des Mannes anzuheben und in die richtige Position zu bringen.
Tim starrte sie mit einem leeren Blick an. Er konnte nicht glauben, was ihm da bevorstehen sollte. Das war für ihn einfach zu viel.
Tabea öffnete weit den Mund, und aus ihrer Kehle drang ein wohliger Grunzlaut. Die Zuschauer schauten zu. Keiner bewegte sich. Die meisten gingen davon aus, dass dies nicht echt war. Da hatte sich jemand künstliche Vampirzähne in den Mund gesteckt.
Es gab auch welche, die es nicht glaubten.
Und dazu gehörte ich!
***
Natürlich hatten wir alles gesehen. Einige Male hatte Purdy Prentiss mich angestoßen und mich aufgefordert, einzugreifen. Ich hatte es aus bestimmten Gründen noch nicht getan, denn ich wollte einen endgültigen Beweis.
Es war alles glatt über die Bühne gegangen. Eine Performance, die zuerst lächerlich gewirkt, sich dann aber zu einem wahrhaft grauenvollen Schauspiel entwickelt hatte. Das war echt.
Wie auch die Zähne.
Tabea ließ ihrem Opfer keine Chance. Sie war stärker, und sie hatte sich auf diese Szene vorbereiten können. Und ich wusste jetzt auch, wer sie war. So völlig überraschend war das für mich nicht gekommen, denn ihre leicht grünliche Haut hatte bereits auf das Paradies der Druiden hingewiesen.
Allerdings musste sie sich in dem anderen Teil des Landes aufgehalten haben, um so zu werden.
»Kennst du dich aus, John?«
»Ich glaube schon.«
»Wer ist sie?«
»Eine Gestalt aus einem Land, das nur wenigen bekannt ist.«
»Wie Atlantis?«
»So ähnlich. Manche nennen es Paradies, andere sagen Fegefeuer zu ihm. Spielt keine Rolle.«
Mehr wollte ich nicht sagen, denn ich musste mich auf das konzentrieren, was auf der Bühne geschah. Und da hatte Tabea alles im Griff. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Sie hatte sich ihr Opfer für den perfekten Biss hingelegt. Eine Chance hatte Tim Helling nicht. Er würde sein Blut verlieren.
Diesmal stieß ich die Staatsanwältin an. »Es wird Zeit!«
Zugleich erhoben wir uns. Tabea sah nicht, was im Zuschauerraum geschah. Sie war zu sehr mit ihrer Beute beschäftigt, und auch das Publikum hatte keinen Blick für uns. Von unserem Platz aus bis zum Zentrum des Geschehens war es nicht mehr als ein Katzensprung. Ich hatte die
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