Auf der Insel der Sehnsucht
1. KAPITEL
Damian stieg gerade aus dem Taxi, als er sie zum ersten Mal erblickte.
Er war übelster Laune, ein Zustand, der bereits die letzten drei Monate über anhielt. Zudem ein Zustand, der ihn während dieser Zeit komplett unempfänglich für alles Schöne gemacht hatte.
Ein Mann müsste allerdings tot sein, um diese Frau nicht zu bemerken.
Umwerfend, so lautete sein erstes Urteil. Zumindest, was er von ihr sehen konnte. Eine große schwarze Sonnenbrille mit breiten Bügeln verdeckte die Augen und den oberen Teil ihres Gesichts, aber der Mund … ihr Mund war voll und versprach unsagbare sinnliche Freuden. Selbst ein Mönch würde bei ihrem Anblick in Versuchung geführt werden.
Sie hatte langes Haar. Eine seidige Mähne, die ihr in hellbraunen und goldenen Strähnen über die Schultern fiel.
Und sie war groß, ungefähr eins achtzig, die perfekte Modelgröße. Sie bewegte sich entsprechend graziös und trug ihre Kleidung so selbstbewusst, dass sie mit der teuren hellbraunen Wildlederjacke, der eng geschnittenen schwarzen Hose und den hochhackigen schwarzen Stiefeln aussah, als wäre sie direkt dem Titelbild der Vogue entstiegen.
Vor drei Monaten hätte Damian nicht nur hingesehen. Vor drei Monaten wäre er auf sie zugegangen, hätte sie angelächelt und sie charmant gefragt, ob sie wohl auch gerade auf dem Weg zum Lunch ins „Portofino’s“ sei.
Heute tat er das nicht.
Wohl auch nicht in absehbarer Zukunft, dachte er mit zusammengepressten Lippen.
Ganz gleich, was sich hinter dieser riesigen Brille verbergen mochte, er war nicht interessiert.
Entschlossen wandte er sich ab und reichte dem Taxifahrer ein paar Dollarnoten durchs Fenster. Hinter dem Taxi hupte jemand ungeduldig. Damian warf einen Blick zu dem Wagen, schob sich zwischen den Autos durch, setzte den Fuß auf den Bürgersteig …
Und dann bemerkte er, dass die Frau die Sonnenbrille abgenommen hatte. Sie schaute jetzt direkt in seine Richtung, mit klarem, offenem Blick.
Sie sah nicht umwerfend aus.
Sie sah sensationell aus.
Ihr Gesicht hatte die perfekte ovale Form, mit ausgeprägten hohen Wangenknochen, dazu eine aristokratische gerade Nase. Unglaubliche Augen. Riesengroß und dunkelgrün, von langen dichten Wimpern umrahmt.
Und dann dieser Mund. Die Dinge, die dieser Mund anstellen könnte …
Verflucht!
Damians Körper reagiert prompt und intensiv. Er konnte es nicht fassen. Andererseits … seit drei Monaten war er nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen.
Es war die längste Zeitspanne ohne Sex für ihn, seit er mit sechzehn zum Weihnachtsfest in die Mysterien der körperlichen Liebe eingeweiht worden war. Von der Geliebten seines Vaters.
Der Unterschied: Damals war er ein Junge gewesen.
Heute war er ein erwachsener Mann. Ein Mann mit kaltem Hass in seinem Herzen und nicht dem geringsten Wunsch nach einer Frau in seinem Leben. Nicht jetzt. Noch nicht. Nicht einmal eine, die so schön war, so begehrenswert …
„He, Mann, das hier ist New York! Bildest du dir ein, der Bürgersteig gehört dir allein?“
Damian wirbelte herum, auf einen Streit oder sogar auf Handgreiflichkeiten eingestellt, und erblickte den Mann, der ihn gerade angesprochen hatte … und fühlte, wie die Angriffslust in ihm verebbte.
„Reyes“, sagte er freudig.
Lucas Reyes grinste breit. „Genau der, wie er leibt und lebt.“
Auch aus Damians Lächeln wurde ein Grinsen. Er streckte die Hand aus, murmelte: „Ach, was soll’s“, und zog seinen Freund in eine kräftige Umarmung. „Tut gut, dich zu sehen.“
„Gleichfalls.“ Lucas ließ die Arme sinken und trat zurück. „Lust auf Lunch?“
„Habe ich jemals keine Lust auf ein Essen im ‚Portofino’s‘ gehabt?“
„Sicher, immer. Ich meinte nur …“ Lucas räusperte sich. „Alles in Ordnung mit dir?“
„Mir geht’s gut.“
„Du hättest dich melden sollen. Bis ich in der Zeitung von … äh … von dem Unfall gelesen hatte …“
Damian versteifte sich. „Vergiss es einfach.“
„Mann, das muss ein Schock gewesen sein. Die Verlobte zu verlieren …“
„Ich sagte, vergiss es.“
„Ich kannte sie ja nicht, aber …“
„Lucas, ich will nicht darüber reden.“
„Wenn du meinst …“
„Genau das meine ich“, erwiderte Damian so klirrend, dass Lucas endlich verstand.
„Na schön.“ Er setzte ein gezwungenes Lächeln auf. „In diesem Falle … Ich habe die hintere Nische bei Antonio für uns reserviert.“
Auch Damian zwang sich zu einem Lächeln. „Bestens.
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