1674 - Freunde der Ennox
vor vierzig oder fünfzig Tagen eingetreten. Er erinnerte sich auch an alles, was sie ihn gelehrt hatten. Aber ihre Namen hatte er sofort nach dem Tod aus seinem Gedächtnis verbannt.
Der Dropher ertastete einen Stein nach dem anderen und schleuderte ihn fort. Das kostete viel Kraft. Gleichzeitig mußte er die stechenden Schmerzen in dem eingequetschten Bein unterdrücken. Schließlich sah er sich gezwungen, eine längere Pause einzulegen.
Die Sonne Cyllaph stand schon tief. Bald würde es Nacht werden. Djardu bezweifelte, daß er sich vor dem Hereinbrechen der Dunkelheit würde befreien können.
Er hatte starken Durst. Die Lederflasche mit Wasser, die er am Leibriemen trug, war in seiner Lage aber nicht erreichbar.
Sein Gehörsinn begann wieder zu arbeiten. Er vernahm das Poltern einzelner Steine, die sich immer wieder aus dem Felshang lösten und in die Tiefe fielen. Er hörte aber auch etwas anderes.
Der Wind pfiff nun stärker. Dunkle Wolken zogen sich am grauen Himmel zusammen.
Wahrscheinlich würde es während der Nacht regnen. Ob es etwas Gutes bedeutete, konnte der Dropher nicht beurteilen. Ein starker Regenguß würde ihn vielleicht aus der Falle spülen, in die er durch den Steinschlag geraten war. Er konnte aber auch seinen Tod herbeiführen, wenn es dadurch neue Lawinen gab.
Er verfluchte seinen Entschluß, den Weg über die Halde eingeschlagen zu haben. Aber sein Instinkt hatte ihn vor etwas anderem gewarnt. Weiter unten im Tal, wo der Weg sicherer gewesen wäre, herrschte starke Radioaktivität. Als Dropher, der viele Jahre nach der Großen Katastrophe geboren worden war, vertrug er natürlich gewisse Dosen der Ewigen Strahlung.
Aber logischer war es, sich dieser Gefahr nur dann auszusetzen, wenn es gar nicht zu vermeiden war. Das zeitweilige Aussetzen seines Gehörsinns war nur eine der Folgen der radioaktiven Strahlung.
Der Regen setzte früher ein, als er erwartet hatte. Sicher war das Regenwasser auch strahlenbelastet, aber Djardu zögerte nicht, sein breites Maul weit aufzureißen, um ein paar der erfrischenden Tropfen einzufangen.
Schon kurze Zeit danach trat das ein, was der junge Dropher befürchtet und zugleich gehofft hatte. Der Hang geriet erneut in Bewegung. Diesmal glitten die Steine und der Sand aber langsam in die Tiefe, denn die treibende Kraft war das Regenwasser. ,Djardu spürte, wie sich die enge Umklammerung aus Steinen und Sand etwas lockerte. Er half mit seinen Händen nach, so gut es ging. Die einsetzende Dunkelheit erschwerte seine Bemühungen erheblich.
Schließlich bekam er seine beiden vorderen Beine frei. Er konnte sich auf sie abstützen und so versuchen, den ganzen Körper mit dem mittleren und dem hinteren Beinpaar aus dem Gestein zu ziehen.
Die Schmerzen in der verletzten Extremität trieben ihn fast in die Besinnungslosigkeit, aber er stemmte sich weiter auf die Arme und das vordere Beinpaar.
Es gab einen Ruck, und er war frei.
Seine Freude währte aber nur kurz. Eine gewaltige, dunkle Masse stürzte von oben auf ihn zu. Wenn das eine erneute Steinlawine sein sollte, dann war er verloren.
An den Geräuschen glaubte er zu erkennen, daß es sich um Wasser handelte. Vielleicht war irgendwo dort oben ein uralter Damm gebrochen. Oder das Regenwasser hatte einen natürlichen Stausee zum Überlaufen gebracht. Djardu versuchte seitlich über die Steine zu fliehen, aber seine Bemühungen waren zum Scheitern verurteilt. Die Wassermassen rissen ihn mit. Steine und Erdbrocken prasselten auf seinen Körper.
Mit einer letzten Instinktreaktion krümmte sich der Dropher zusammen und verbarg den Kopf in den Armen. Auch das half nichts mehr. Etwas Schweres und höllisch Hartes prallte auf seinen Schädel. Vielleicht ein von den Wassermassen mitgerissener Baumstamm. Vielleicht ein großer Stein.
Dann spürte Djardu nichts mehr. Auch nicht mehr die Schmerzen in dem verletzten Bein.
*
Das Erwachen aus der Bewußtlosigkeit war ein langsamer Vorgang. Djardus Gehirn tastete sich unbewußt Schritt für Schritt an die Wirklichkeit heran. Es war ein kurzes Glück für den Dropher, daß er unmittelbar nach der Rückkehr der Erinnerung weder sehen noch hören oder etwas fühlen konnte. Sein mutiertes Gehirn hatte alle normalen Sinnesorgane abgeschaltet.
Da war kein Schmerz, kein Empfinden von Wärme oder Kälte, keines von Nässe oder Trockenheit auf seinem zwei Meter langen Leib. Djardu konnte nicht einmal sagen, wo oben und unten waren. Oder ob er auf dem Rücken lag
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