1561 - Wächterin der Nacht
»Mach hier keine Faxen, Judy, und keinen Stress. Das Shooting ist deine große Chance.«
»Scheiße!«
»Hä? Was habe ich da gehört?«
»Ich sagte Scheiße.«
Ari Cosmo verengte seine Augen. »Und warum höre ich das aus deinem hübschen Mund, Engelchen?«
Judy trat mit dem fechten Fuß auf.
»Ich bin nicht dein Engelchen. Und bei der Scheiße bleibe ich.« Sie deutete auf die Wolken über dem Haus. »Da ist der Wind. Das wird nichts. Der bläst uns weg, verdammt!«
Ari grinste. »Engel brauchen Wind.«
»Ich bin aber kein Engel und werde nie einer sein.«
Cosmo ließ sich nicht beirren. »Doch, Süße, bald wirst du einer sein. Einer der schönsten Engel, die es je gegeben hat. Das mit dem Wind ist nicht gut, das weiß ich selbst. Aber ich kann den Job hier nicht abbrechen. Wir ziehen ihn durch und fertig. Denk an deine Gage.«
»Pah, so hoch ist die gar nicht.«
»Andere müssen dafür einen Monat malochen.«
Für Cosmo war die Sache erledigt. Er winkte einem Mann aus der Crew, der sich Requisiteur nannte. Der tänzelte näher. Er hielt zwei Flügel in den Händen. Einer war hell, der zweite dunkel.
Erneut fegte ein Windstoß über das Dach des Hotels. Es war erst in der letzten Viertelstunde so stürmisch geworden. Damit hatte keiner aus der Crew gerechnet.
Ari Cosmo - ob er tatsächlich so hieß, war sein Geheimnis - wollte das Shooting weder unter- noch abbrechen. Er hatte lange genug nach dieser Location gesucht und mit großer Mühe das Dach für zwei Stunden mieten können. Noch einmal von vorn anzufangen, das kam für ihn nicht infrage. Das gab der Etat auch nicht her, da konnte sich Judy King noch so zickig benehmen.
Der Wind packte die beiden Flügel und wollte sie aufblähen. Sie sahen täuschend echt aus, als bestünden sie aus zahlreichen Federn. Das stimmte nicht. Mit diesen Flügeln aus Kunststoff hatte ein Künstler eine wahre Meisterleistung geschaffen.
»Dreh dich mal um, bitte.«
Judy wusste, dass es keinen Sinn hatte, weiterhin zu opponieren. Sie tat, wie ihr geheißen, und hörte das Lob des Requisiteurs, der sich sofort an die Arbeit machte.
Er war dafür verantwortlich, dass die Flügel an Judys Körper befestig wurden und nicht schon beim ersten Windstoß wegflogen. Dafür sorgten Klettverschlüsse in der gleichen Farbe wie das beige Kleid.
Ari Cosmo schaute aus der Entfernung zu. Er war zufrieden und lächelte, während er nickte.
»Ja, das passt.«
Judy sagte nichts und verdrehte nur die Augen. Erneut heulte ein Windstoß heran, und es war ein Wunder, dass von den zahlreichen Requisiten nichts wegflog.
Nach etwa zwei Minuten saßen die Flügel fest. Auf der rechten Seite der dunkle, auf der linken der helle. Noch hingen sie und waren nicht richtig aufgerichtet, aber das würde sich ändern. Dafür musste die Trägerin nur an einem Band ziehen, das sich in Bauchhöhe in den Falten des Kleides versteckte.
Cosmo lachte.
»Ist doch traumhaft, Süße. Echt Masse. Gratuliere. Man kann dich tatsächlich nicht von einem echten Engel unterscheiden.«
»Gibt es denn Engel?«
»Aber immer doch.«
»Dann hast du sie gesehen?«
»Ich sehe dich«, flüsterte Ari, ging auf Judy zu und küsste sein Model auf beide Wangen.
»Einen idealeren Engel kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.«
Judy verzog säuerlich das Gesicht.
Ari ließ sie stehen, so konnte sie sich umschauen. Die Crew war da. Zwei Fotografen standen bereit, um sie aus verschiedenen Perspektiven abzulichten.
Eigentlich hätte sich Judy in ihrem Erfolg sonnen können. Sie wurde immer dann geholt, wenn man ein Mädchen brauchte, das etwas Besonderes an sich hatte. Das schön war, wobei alles passen musste, von der Figur bis zu den Haaren.
Das war bei Judy King der Fall. Langes Blondhaar, ein schmales Gesicht mit großen Augen, ein weicher Mund und ein Körper, der wunderbar schlank war und dabei vom leichten Stoff der Kleidung umschmeichelt wurde.
Hier wurde für eine Diät-Mahlzeit geworben. Judy brauchte nur einige Male über das Dach zu laufen, aber so, dass es aussah, als würde sie schweben.
Und dann musste sie über den Dachrand hinweg springen. Allerdings nicht sie selbst. Das würde dann durch eine Computer-Animation geschehen. Sie konnte auslaufen und vor dem Dachrand abstoppen. Alles andere übernahm die Technik.
»Fertig?«, rief Ari. Er meinte dabei nicht sein Model, sondern die Crew.
Er erhielt das Okay. Die Lampen waren aufgestellt und strahlten ihre Lichter ab.
Man hatte sogar
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