169 - Die Drachenmenschen
Machendra war nicht in unmittelbarer Nähe, das hätte sie gespürt. Trotzdem waren da viele ähnliche Schwingungen für die es keine andere Erklärung gab, als daß es sich um Dämonisierte handelte, um Drachenmenschen.
Coco ließ sich in die Hocke sinken. Mit schnellen Bewegungen zeichnete sie ein Pentagramm um sich herum. Ihre Beschwörung war einfach. Da noch immer schwarzes Blut in ihren Adern floß, brauchte sie die Aura der Schwarzen Magie nicht zu fürchten.
Sie suchte nach einem Ausweg aus ihrem Gefängnis.
Minuten vergingen ereignislos. Aber dann war ein leises Knistern zu vernehmen. Es kam aus der Wand zur Rechten. Staub und winzige Gesteinssplitter rieselten zu Boden. Das bedeutete, daß dahinter ein weiterer Hohlraum lag. Die Wand selbst schien nicht sonderlich stark zu sein.
Ein Riß entstand, der sich rasch weitete. Faustgroße Geröllbrocken brachen aus. Überrascht stellte Coco fest, daß sie von der anderen Seite her Unterstützung erhielt. Wer immer sich dort befand, setzte zwar keine Magie ein, aber doch Kräfte, die rasch eine ausreichende Öffnung schufen.
Der aufgewirbelte Staub legte sich erstickend auf die Atemwege, brannte wie Feuer auf den Schleimhäuten und reizte zum Husten.
„Es reicht!" stieß Coco würgend hervor. Eine Weile lauschte sie den rasselnden Atemzügen, die sich mit ihrem eigenen Keuchen vermischten. „Immerhin sind wir nun zu zweit", sagte sie dann. „Da läßt sich manches leichter ertragen."
„Wer bist du?" fragte eine Männerstimme. „Auch eine Gefangene?"
„Es sieht so aus. Ich heiße Coco."
„Dann war wieder alles umsonst", erklang es niedergeschlagen. „Bestimmt ist dem Drachen nicht entgangen, daß ich meine Kräfte eingesetzt habe, und er wird kommen, um mich von neuem zu quälen."
„Der Drache ist ein Dämon…" Mehr konnte Coco nicht sagen. Machendra erschien von einer Sekunde zur anderen. Sie sah das tückische Funkeln seiner Augen und handelte instinktiv, versetzte sich in den schnelleren Zeitablauf, in dem sie für andere praktisch unsichtbar wurde. Der Nachteil war allerdings, daß sie nichts von dem verstand, was der Dämon sagte. Seine Stimme wurde für sie zum langgezogenen, unmodulierten Grollen.
Ein Fluchtweg öffnete sich trotzdem nicht. Die Verliese besaßen keinen normalen Zugang. Coco war gezwungen, ihre Manipulation mit der Zeit aufrechtzuerhalten. Dabei konnte sie nur hoff en, daß ihre Kräfte ausreichten. Einen anderen Weg, Machendra zu entkommen, gab es nicht. Ungeduldig wartete sie darauf, daß etwas Entscheidendes geschah. Endlich nahm Machendra den jungen Mann zwischen seine Schwingen - eine Bewegung, die mehr als zeitlupenhaft langsam ablief. Coco umklammerte den Leib des Drachen mit beiden Armen.
Erneut verschwamm alles um sie her in einem rasenden Wirbel. Sie fand sich in einem monströsen Geflecht wieder, das sie spontan als Nest identifizierte. Abscheulicher Gestank schlug ihr entgegen. Der Drachendämon schrie auf und fuhr herum. Seine Klauen zuckten Coco entgegen, die ihnen nur deshalb entging, weil die jähe Bewegung sie zur Seite schleuderte. Entsetzt stellte sie fest, daß ihre Fähigkeiten versagten. Von einem Moment zum anderen war sie keine Hexe mehr, nur noch eine Frau, die um ihr Leben lief. Machendras Lachen dröhnte gellend in ihren Ohren. Hier war er in seinem Element, besaß er die Überlegenheit, die ihn triumphieren ließ. Und daß er viele Opfer riß, zeigten die Überreste, die sich in den Vertiefungen des Nestes angesammelt hatten.
Coco kletterte um ihr Leben, wagte nicht, sich umzuwenden, aus Furcht, den Vorsprung zu verlieren. Das Nest war durchzogen von Adern Schwarzer Magie, die ihr zu schaffen machten. Sie wußte genau, was kommen würde. Ihre Hilflosigkeit war nur der Anfang, gefolgt von Schwächeanfällen bis hin zum Koma, in dem der letzte Lebensfunke ihren vertrocknenden Leib verließ. Daß sie selbst einer Dämonenfamilie entstammte, konnte sie nicht retten, denn Machendras Magie richtete sich auch gegen seinesgleichen.
Außer Atem erreichte Coco den Nestrand. Weshalb der Drache sie noch nicht eingeholt hatte, wurde ihr schlagartig klar, als sie sich nach außen schwingen wollte. Das Blut in ihren Adern schien sich in flüssiges Blei zu verwandeln. Zuckende Entladungen umspielten ihren Körper. Aber sie verlor das Bewußtsein nicht - auch nicht als sie stürzte und haltlos dorthin zurück rollte, von wo sie geflohen war.
„Die Schwarze Familie hat mich also entdeckt." Machendra
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