169 - Die Drachenmenschen
gaben die Klauen ihn frei. Nicht einmal die Zeit für einen entsetzten Aufschrei blieb, denn schon wurde er von einem stabilen Geflecht aufgefangen.
Dorian vernahm ein Scharren und Ächzen hinter sich und wirbelte herum. Die Kreatur, der er sich gegenübersah, war von abgrundtiefer Häßlichkeit - ein wirklicher Drache, der das Ende seines Lebens bald erreicht hatte. Runzlige, faltige Haut überzog nicht nur den ausgemergelten Körper, sondern auch das kantig vorspringende Maul mit den fauligen schwarzen Zahnstümpfen. Stinkender Atem schlug dem Dämonenkiller entgegen und ließ ihn unwillkürlich an den Rand des Nestes zurückweichen. Der Drache stieß ein triumphierendes Krächzen aus, schlug wild mit den löchrigen Schwingen, auf denen das eigene Verdauungssekret bereits deutliche Spuren hinterlassen hatte. Ausgebleichte Gerippe lagen vor dem Scheusal. Ob von Mensch oder Tier war nicht mehr zu erkennen.
Dorian Hunter spürte die ungewöhnlich starke dämonische Ausstrahlung des Drachen.
„Du bist gekommen, mich zu jagen?" scholl es ihm entgegen. „Wisse, daß niemand stark genug ist, Machendra zu töten." Flammen schossen aus dem aufgerissenen Rachen. Der Drache war ein Dämon, denn er bediente sich der alten Sprache. Aber ob er sich in seiner wahren Gestalt zeigte, konnte Dorian nicht beurteilen.
Die Flammen versengten seine Kleidung und verbrannten seine Haut. Mit letzter Kraft malte Dorian magische Bannzeichen in die Luft. Machendra lachte nur.
Die Hitze wurde unerträglich. Dorians letzter Gedanke galt seinem eigenen Tod - jetzt, da er sein Ziel zum Greifen nahe vor sich hatte.
„Was immer du erlebt zu haben glaubst, vergiß es. Es war nicht Wirklichkeit."
Dorian Hunter verstand die Worte, die so plötzlich in sein Bewußtsein eindrangen und die Leere ausfüllten, nur ihr Sinn. blieb ihm fürs erste verborgen.
„Die Banisteriopsis-Caapi rufen Träume von außerordentlicher Stärke hervor", redete Feodora Munoz weiter auf ihn ein. „Es heißt, daß Berauschte nicht nur Visionen haben, sondern wirklich in die Zukunft sehen können."
Dorian schloß die Augen. Ein Traum? Alles war so deutlich in seiner Erinnerung eingeprägt, daß es keine Zweifel an der Realität des Erlebten geben konnte. Andererseits war er nach wie vor an den Pfahl gefesselt, gut ein Dutzend Schritte von den feiernden Indianern entfernt.
„Du warst eine halbe Stunde ohne Besinnung", ließ sich nun auch Coco vernehmen. „Genau wie die Wilden da, die aus den Kalebassen getrunken haben."
Warum? stellte Dorian sich die Frage. Was haben sie vor mit mir? Bleiben Coco und Feo unbehelligt, weil sie Frauen sind?
Ein aufstiebender Funkenreigen lenkte seine Aufmerksamkeit auf anderes. Inmitten des wieder lodernden Feuers begannen sich die Umrisse eines Menschen abzuzeichnen. Die sengende Glut konnte ihm offenbar nichts anhaben.
Die Indianer verfielen in einen monotonen Singsang. Obwohl Dorian nicht ein Wort davon verstand, erkannte er die Freude und den Triumph, die darin mitschwangen.
Unversehrt trat der große, kräftige Indianer aus den Flammen hervor. Obwohl er sich verändert hatte und zum Drachenmenschen geworden war, erkannte Dorian ihn wieder.
Nur mehr einen Satz sangen die Indianer, der sich ständig wiederholte. Er war von geradezu hypnotischem Zwang. Frauen sanken in die Knie, Männer senkten ehrfürchtig die Köpfe.
„,Umarme mich, großer Diener Machendras' heißt das, was sie singen", sagte Feodora, die den Dialekt wenigstens teilweise zu verstehen schien. Sie drehte den Kopf zur Seite und schluckte krampfhaft, als der Drachenmensch sein erstes Opfer in die Schwingen einschloß. Es war einer der Männer, die aus den Kalebassen getrunken hatten, und er schien seinem Schicksal sogar freudig entgegenzusehen.
Nur Knochen blieben zurück, als der Drachenmensch sich dem nächsten zuwandte.
„Er hat ebenfalls getrunken", stieß Coco erregt hervor.
„Verdammt, ich auch." Dorian begann mit aller Kraft an seinen Fesseln zu zerren. „Hilf Coco!" rief er der Mulattin zu.
Mit aller Kraft zerrte er an den Lianen, die in seine Gelenke einschnitten. Warm rann es über seine rechte Hand, aber er kam frei. Jetzt fiel es ihm leichter, die Knoten zu lösen.
Niemand achtete auf ihn oder die beiden Frauen. Aller Augen waren wie gebannt nur auf den Drachenmenschen gerichtet, der soeben sein drittes Opfer holte.
„Die Auserwählten sind glücklich, daß sie ihr Leben für den Dämon geben können", kommentierte Feodora das
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