Ein Versprechen aus Afrika
Heiße Diamanten
»Schauen Sie sich das an, Sir Julius.«
Henri Lemoine löste die Krawattennadel aus dem Seidentuch, das er künstlerisch um den Hals geschlungen trug. Auch seine übrige Erscheinung vermittelte den Eindruck eines Künstlers: das blonde, natürlich gewellte Haar, sein Backenbart und der dünne Schnurrbart. Er war noch jung, um die dreißig. Und er gehörte zu denen, die vom Leben immer verwöhnt wurden. »Wollen Sie etwa sagen...?«
Sir Julius Wernher nahm die Nadel in die Hand und musterte den herrlichen Diamanten, der sie zierte. Sir Julius Wernher war nicht irgendjemand. Damals, Anfang des 20. Jahrhunderts, zählte er sogar zu den einflussreichsten Männern Großbritanniens. Er war der Direktor der De Beers, der berühmtesten und größten Diamantenmine der Welt, die in der reichsten Besitzung Ihrer Majestät lag, nämlich in Südafrika.
Julius Wernher war das genaue Gegenteil seines Gastes. Mit seiner Haltung, als habe er einen Besenstiel verschluckt, und mit seinem grau melierten Haar wirkte er fast wie die Karikatur eines englischen Geschäftsmannes. Es war jedoch kein Zufall, dass er sich bereit erklärt hatte, Henri Lemoine an diesem 5. Mai 1905 in der Londoner Zentrale der De Beers zu empfangen. Sir Julius Wernher tat nie etwas rein zufällig.
»Nein, Sir Julius, dieser Diamant ist nicht mein Werk.
Aber mithilfe der Wunder der Elektrizität verspreche ich Ihnen genau so einen.«
Einen Moment lang war es in dem imponierenden, strengen Büro mit den dunklen Wandvertäfelungen völlig still. Schließlich reichte der Brite das Schmuckstück seinem Besitzer zurück.
»Wie viel brauchen Sie, um eine Produktion künstlicher Diamanten aufzubauen?«
»Zehntausend Pfund.«
Julius Wernher entnahm seinem Schreibtisch ein dickes Bündel Geldscheine, eine beachtliche Summe, die nach heutigem Maßstab etwa 75 000 Euro entsprach. »Wann machen Sie sich an die Arbeit?«
»Sobald ich wieder in Paris bin.«
»Ich schlage Ihnen eine Partnerschaft vor. Nach der Herstellung des ersten Diamanten zahle ich Ihnen 80 000 Pfund zusätzlich, um die Rechte an der Erfindung zur Hälfte zu erwerben. Ist das korrekt?«
»Vollkommen korrekt. Wahrscheinlich kann ich in einem Monat die ersten Ergebnisse vorweisen.«
»Schon?«
Henri Lemoine lächelte bescheiden und stopfte die Geldscheine in einen mitgebrachten Handkoffer.
»Die Technik ist nicht weiter kompliziert. Das ganze Geheimnis liegt in den beiden Pulvern, dem weißen und dem schwarzen, und in ihrer Affinität mit der Elektrizität.«
Aus demselben Handkoffer nahm der Franzose einen versiegelten Umschlag.
»Hier. Darin habe ich alles aufgezeichnet. Das Verfahren ist so einfach, dass es jede beliebige Person, die sich ein wenig in der Chemie auskennt, durchführen kann. Dieses Dokument hinterlege ich bei meinem Notar mit dem Auftrag, es Ihnen allein auszuhändigen, falls ich unerwartet sterben sollte.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Mr Lemoine.«
»Kommen Sie nach Paris, wenn ich so weit bin?«
»Natürlich, auf der Stelle. Das ist schließlich vorrangig.«
»Also bis bald, Sir Julius. Ich schicke Ihnen ein Telegramm.«
Nachdem sich die beiden Männer die Hand geschüttelt hatten, verließ der Franzose mit der künstlerischen Erscheinung das imposante Büro der De Beers.
Sir Julius Wernher war nachdenklich. Der für seine Ernsthaftigkeit bekannte Mann hatte keineswegs den Verstand verloren. Ihm war bewusst, dass er es vielleicht mit einem Scharlatan, einem Schwindler, zu tun hatte. Aber sicher war er sich da nicht und darin lag das ganze Problem.
Anfang des 20. Jahrhunderts hatte man die Elektrizität eben erst entdeckt. Dieser noch schlecht bekannten Energiequelle schrieb man außerordentliche Kräfte zu, so wie wir es noch vor wenigen Jahrzehnten mit der Atomenergie taten. Wer konnte mit Sicherheit sagen, dass ein Stromstoß nicht auch einen Diamanten erzeugen kann? In Frankenstein , einem damals noch viel gelesenen Roman, schuf ein Wissenschaftler mittels der Elektrizität einen lebenden Menschen. Natürlich handelte es sich nur um einen Roman, aber man lebte in einer Zeit, in der sich die Wissenschaft unglaublich rasch entwickelte und in der der Glaube an den Fortschritt noch nicht erschüttert war. Wenn man die größten Diamantenminen der Welt leitet, kann man es sich nicht leisten, einen Henri Lemoine auf die leichte Schulter zu nehmen.
Genau das hatte sich auch Henri Lemoine überlegt. Er war nämlich tatsächlich
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