170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
nicht offen aus, was sie beide wussten. Das Fieber würde sich erst später einstellen. Entmutigt strich Marcus dem kleinen Adam das Haar aus der Stirn. Ein Leben kann so schnell ausgelöscht werden, dachte er, als ihm die Tragweite seines schrecklichen Verlustes mit einem Mal in aller Deutlichkeit wieder vor Augen trat. Draußen vor der Hütte auf dem harten, kalten Boden lag sein toter Vater unter einem Leichentuch. Wenn er jetzt auch noch Adam verlöre …
Nein! Er durfte nicht an so etwas denken. Der Tag hatte schon genug Leid gebracht.
Er fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und schaute dann zu Lady Keelin hinüber, die eine Decke auf dem harten, gestampften Boden ausbreitete. Sie setzte sich hin, holte eine Bürste hervor und kämmte sich die lange, dunkle Haarpracht.
Marcus war mehr als gewillt, sich von seinen trüben Gedanken loszureißen. Gebannt sah er Keelin zu. Er malte sich aus, wie ihre weichen Locken seine Haut liebkosten. Bei dieser Vorstellung regten sich ungeahnte Gefühle in ihm. Sie war ganz in ihren wollenen Umhang gehüllt, aber unter dem langärmeligen Unterkleid schien sie nichts zu tragen.
Marcus war entsetzt, wohin ihn seine freizügigen Gedanken geführt hatten, und heftig schluckend wandte er sich von dem Anblick der schönen Frau ab. Es stünde ihm wohl besser an, über seine Zukunft nachzudenken, als Keelin O’Shea zu begehren.
In zwei Tagen würden sie nach Wrexton aufbrechen, und Adam würde sich endlich in seinem eigenen Bett erholen können und von seiner „Base“ Isolda Coule und den anderen Frauen der Burg versorgt werden. Der Bischof von Chester würde alsbald die Totenmesse für Eldred halten. Der zweite Graf aus dem Geschlecht der De Grants – Marcus’ Großvater hatte den Grafentitel von Edmund Sandborn, einem entfernten Vetter, geerbt – würde dann seine letzte Ruhe in der Krypta von Wrexton finden.
Und dann nähme das Leben seinen Lauf. Der Winter würde bald anbrechen und …
„Mylord“, durchbrach Keelins zarte Stimme die Stille.
Marcus drehte sich um und sah, dass sie nun damit beschäftigt war, den Verband an ihrem Hals zu lösen.
„Das Tuch muss sich verknotet haben“, sagte sie mit gedämpfter Stimme, erhob sich von ihrem Lager und kam zu ihm. „Es scheuert, und ich möchte den Verband lieber abnehmen. Wenn Ihr mir dabei helfen könntet …“
Langsam stand er auf. Er wusste, dass Keelin mehr von ihm erwartete als ein zustimmendes Nicken, aber sie stand bereits so dicht vor ihm, dass es ihm den Atem verschlug. Seine Hände brannten wie Feuer, noch bevor er das Leinentuch an ihrem Hals angefasst hatte.
„Ich denke, die Enden haben sich verknotet, aber ich kann es nicht sehen“, sagte sie leise, als er sie schließlich berührte.
Sie war eine große Frau, nur einen halben Kopf kleiner als er, sodass er sich kaum zu ihr hinunterbeugen musste. Marcus widmete seine ganze Aufmerksamkeit dem Knoten, doch es entging ihm nicht, dass ihr Kinn fast unmerklich zitterte. Er hielt inne und wagte es, ihr ins Gesicht zu schauen. Er war wie verzaubert, als sich eine schimmernde Träne aus ihrem Auge löste.
Schnell wollte sie sich von ihm abwenden, um ihre Gefühle zu verbergen, doch Marcus umfasste zärtlich ihr Kinn. Die Erkenntnis, dass sie genauso verletzlich war wie er, war überwältigend. Mit dem Daumen strich er ihr sachte die Träne von der Wange, beugte sich nah zu ihr und suchte nach ihrem Mund, als wäre er ein erfahrener Liebhaber, der bereits Hunderte von jungen Frauen geküsst hatte.
Ihre Lippen berührten sich zunächst nur zögerlich. Marcus küsste sie zärtlich, zog dann den Kopf ein wenig zurück und gönnte ihnen eine kurze Atempause. Doch er wollte das wundervolle Gefühl nicht erlöschen lassen, küsste Keelin erneut und vertiefte die innige Berührung ihrer Lippen, verzaubert von der erstaunlichen Wärme und dem sinnlichen Genuss eines Kusses.
Es blieb indes nicht bei dem einen Kuss. Keelin stieß einen leisen, wonnigen Laut aus, und Marcus spürte, wie ihre Hände über seine Brust glitten, sich um seinen Nacken legten und durch sein Haar fuhren. Eine Flut von unvergleichlichen Empfindungen durchströmte ihn. Er schloss sie in seine Arme, zog sie näher zu sich heran, spürte ihre weichen Rundungen an seiner Brust und verlor sich in den aufwühlenden Schauern und dem wilden Pochen ihrer Herzen.
Die Anspannung wurde unerträglich. Marcus sehnte sich danach, ihre warme, weiche Haut auf seinem bloßen Leib zu spüren. Er könnte sie
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