170 - Hüte den Speer - Magiure, Margo
denn er machte sich viel zu viel Sorgen um ihr Wohlergehen.
„Du musst mir sagen, was du gesehen hast.“ Mit seinen schwachen Augen, die im Alter trübe geworden waren, suchte Tiarnan nach seiner jungen Nichte, obgleich er ihre blühende Schönheit stets vor seinem geistigen Auge sah. Ihre Haut war weich und weiß wie die ihrer Mutter, und ein zartes Rosa schimmerte auf den Wangen. Ihre Augen hatten das gleiche Grün wie die Felder der geliebten Heimat, und ihr Haar war tiefschwarz und seidig wie die Nacht. Und doch war Keelin keine zierliche Schönheit, denn sie war groß, beinahe so groß wie die meisten Männer. Sie war zu einer kräftigen und mutigen jungen Frau herangewachsen.
Seine arme Keelin wusste jedoch nicht, dass Ruairc Mageean mehr wollte als nur die Lanze. Sobald er Ga Buidhe an Lamhaigh an sich genommen hätte, würde er sie für sich beanspruchen und sie zu seiner willigen Gespielin machen. Den lüsternen Schurken hatte es nach ihr verlangt, seit er sie zum ersten Mal erblickt hatte, damals, als Keelin noch ein unreifes Mädchen mit großen grünen Augen gewesen war.
Wenn es Mageean gelang, die Heilige Lanze zu stehlen und Keelin zu entführen, rückte für ihn die Aussicht in greifbare Nähe, das Erbe Eocaidh O’Sheas an sich zu reißen. Dann wäre Ruairc der mächtigste Anführer in ganz Kerry. Tiarnan wusste, dass Mageeans Sinnen und Trachten auf dieses arglistige Vorhaben abzielte.
Der Erzfeind war indes bei weitem nicht der einzige Mann, den es nach dem Mädchen gelüstete. Nur ungern erinnerte sich Tiarnan daran, dass Keelin einst Fen McClancy, einem anderen Clanführer, versprochen worden war. Diese unselige Entscheidung hatte ihr eigener Vater noch kurz vor seinem gewaltsamen Tod getroffen. Möge seine Seele in Frieden ruhen, betete er voller Groll.
Keelins zukünftiger Gemahl war nicht nur ein alter Mann, beinahe so alt wie er selbst, sondern obendrein auch ein lüsterner Bock. Gewiss, er gebot über die Landstriche, die nordöstlich von O’Sheas Herrschaftsbereich lagen, doch Tiarnan kannte noch andere Mittel und Wege, um ein Bündnis mit McClancy zu Stande zu bringen, ohne Keelin an den alten Schurken zu verschachern.
Immer wenn er das Handeln allein seinem Bruder Eocaidh überlassen hatte, dem Starken und Mächtigen, waren stets nur die Bedürfnisse des Clans von Bedeutung gewesen. Sogar seine junge Tochter hätte er bedenkenlos dem alten McClancy überlassen. Doch Keelin wusste nicht, wem sie versprochen worden war, denn ihr Vater hatte ihr vor seinem Ableben kein Wort über den zukünftigen Verlobten gesagt.
Mit Umsicht und ein wenig Glück war es Tiarnan gelungen, den Rat der Ältesten davon zu überzeugen, Keelin als Hüterin von Ga Buidhe an Lamhaigh fortzuschicken, anstatt sie Fen McClancy zur Frau zu geben. Tiarnan hoffte inständig, dass er inzwischen das Zeitliche gesegnet hatte. Gott bewahre, er wünschte dem Alten nichts Böses – mochte sein Ende friedvoll sein, aber trauern würde er sicher nicht um ihn.
Es wäre besser, wenn Keelin niemals von dem Eheversprechen erfuhr, das ihr Vater und McClancy ausgehandelt hatten. Dem armen Mädchen würde es das Herz brechen, wenn ihr aufging, wie wenig sie ihrem Vater bedeutet hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass sie das Vorhaben ihres Vaters nicht bereits durchschaut hatte, aber sie schien seltsamerweise manchen Vorgängen um sie herum keine Beachtung zu schenken.
„Bitte, Onkel“, sagte Keelin, „wir reden später darüber. Da ist nichts …“
„Doch, meine Kleine“, entgegnete der alte Mann, als er den Kopf auf das weiche Kissen legte, das sie ihm bereitet hatte. „Es ist sehr wichtig, und wir haben nur wenig Zeit. Hör mich nun an.“
„Was habt Ihr auf dem Herzen, Onkel, dass Ihr mit mir reden wollt, anstatt Euch auszuruhen?“, fragte Keelin sehr ernst, als sie sich einen niedrigen Schemel neben die dürftige Schlafstatt ihres Onkels zog. Der Nachmittag war kühl, und ein kleines Herdfeuer sorgte dafür, dass die schlichte Behausung angenehm warm war. Der Duft der Heilkräuter, die Keelin zum Trocknen ausgelegt hatte, erfüllte den Raum. Später, wenn Tiarnan sich zur Nachtruhe legte, würde sie die schon trockenen Kräuter zermahlen und für die Reise verstauen.
„Die Mageean-Krieger sind nahe“, kam er ohne Umschweife zur Sache. „Ich weiß, dass es so ist, obwohl ich das Unheil nicht wie du sehen kann.“
Keelin runzelte nachdenklich die Stirn. Tiarnan war weise, aber wie konnte er wissen, was ihr
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