1721 - Utiekks Gesandte
waren die eigentlichen Seher, sondern sie. Die niemals ihre Horchtürme verließen, die ihre Körper niemals dem Licht der Sonnen aussetzten.
Um seinen Schädel drapierte Moád ein glitzerndes, fein gesponnenes Netz, dessen Knoten miniaturisierte High-Tech-Produkte enthielten. Sie versetzten sein Gehirn in einen Zustand höchster Empfindsamkeit.
In Ouidanes Fall hatte er ein gutes Gefühl, aber das hatte er schon oft gehabt, und immer hatte es getrogen.
Er befestigte mehrere Dutzend Kontakte an der Haut des Kindes. Die Mutter beäugte den Vorgang argwöhnisch; da sie aber unter der Geburt so sehr gelitten hatte und ihr Tod bevorstand, wäre sie zu schwach gewesen, wirklich Widerstand zu leisten.
„Keine Angst", murmelte der Alte dennoch. „Deine Tochter wird nicht den geringsten Schmerz spüren."
Er schaltete die Energieversorgung der Geräte langsam hoch. Mit großer Vorsicht. So wie immer.
Eine elektrischer Schlag ließ den Körper des alten Barrayd erbeben.
Und das war keineswegs das, was er erwartete! Moád schüttelte benommen den Oberkörper. Sein Kugelkopf war allein nur wenig bewegungsfähig, weil Barrayd starre Hälse hatten.
„Was ist?" flüsterte die Mutter ängstlich.
„Ich... ich weiß nicht."
Moád schaltete erneut die Zerfallsbatterie hoch. Sie hatte ihm treu gedient, schon seit den ersten Tagen als Sucher, und seinen Vorgängern über Jahrhunderte ebenso.
Nach dem ersten Schock durchrieselte ihn ein kriechender Strom.
Die kleine Ouidane riß plötzlich weit die Augen auf. Ihre kombinierten Hör- und Riechorgane, die seitlich am Hals saßen, zuckten mehrfach, obwohl Neugeborene diese Muskulatur noch gar nicht unter Kontrolle hatten.
Verstehst du, was geschieht? Nein, das kann nicht sein, weil nicht einmal ich dazu imstande, bin.
Die Geräte der Quesch strahlten eine psionische Wellenfront aus, deren Natur Moád nicht verstand, die er auch nicht verstehen mußte. Normalerweise durchdrang die Front den Leib eines Neugeborenen, ohne auf Widerstand zu treffen.
In diesem Fall jedoch...
In Moáds Geist tat sich ein riesiges Loch auf.
Ein Leben lang auf ein einziges Ereignis fixiert zu sein, darauf bis zum eigenen Tod zu warten, das war eine schwere Sache. Wenn das erwünschte Ereignis dann aber tatsächlich eintrat, stellte es alles andere in den Schatten, was im Leben je geschehen war.
„Was ist mir dir, Sucher?"
Er hörte nicht.
„Sucher, was ist mit dir?"
Der Alte regte sich nur ganz schwach. Er vergewisserte sich tausendmal, daß die Wellenfront in Ouidanes Körper wirklich auf einen Reflex traf. Sein Gehirn war seit frühester Jugend speziell sensibilisiert. Nur ein Sucher war für den Reflex empfänglich, und auch nur, wenn er das Netz der Quesch um seinen Kopf trug.
„Sucher!"
Er fühlte sich an den Schultern gerüttelt; in seinem Alter war das ein sehr unangenehmes Gefühl.
Moád fand in die Gegenwart zurück.
„Ouidane war ihr Name, nicht wahr?" Er schaute die Mutter und die vier anderen Erwachsenen gerade an, mit triumphierendem Glanz in den Augen. „Ich glaube, daß sie eine Immune ist. Ja, ich bin ganz sicher.
Zhanth hat lange darauf gewartet."
Eine Ewigkeit, so wie ich.
Der alte Barrayd kam mit Mühe aus seiner verkrampften Haltung hoch.
Die helfenden Hände wehrte er ab.
„Was geschieht jetzt, Sucher?"
„Eurer Familie wird die größte Ehre zuteil, die es in Zhanth seit Jahrhunderten gegeben hat. Ouidane wird in größtmöglicher Behütung aufwachsen, hier in eurem Haus. Bis sie drei Jahre alt ist. Dann wird man sie euch wegnehmen und in die Schule Utiekks holen. Aber die Ehre bleibt euch ein Leben lang."
Mit einem leeren Gefühl im Kopf packte Moád seine Instrumente ein.
Er gab acht, daß keines beschädigt wurde; sie würden einem neuen Sucher bis zu dessen Lebensende dienen.
Cewastol führte ihn durch das Gewirr der Gassen hinaus, bis zur Haltestelle des Rohrbahnzugs. Es tat Moád unendlich gut, die plötzlich wieder respektvolle Miene zu sehen. Der Halbwüchsige brachte kaum ein Wort hervor. So sehr war die Zivilisation der Barrayd auf Immune fixiert, daß das Ereignis einem mittleren Wunder gleichkam.
BJ’S zu fünfzig, in jedem Zeitalter... Manchmal aber auch nur zehn oder zwanzig. Viel zu wenige.
Man mußte ihm ansehen, was im Innersten vorging, denn die Reisenden im Zug musterten ihn mit unverhohlener Neugierde. Er spürte die Kälte, die mit jeder Minute weiter durch seine Glieder kroch, aber er nahm die Schmerzen nicht wahr, die damit
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