1723 - Das Templer-Trauma
auch andere Nächte, besonders die, in denen der Vollmond am Himmel stand. Da kam es zu manch einer Unruhe, doch bis zum vollen Mond war es noch etwas hin.
Sie war in ihrem Job so einiges gewohnt. Die Aussagen des Paters allerdings hatten sie regelrecht aufgewühlt. Was sie sich da hatte anhören müssen, war kaum zu fassen. Es klang unglaublich. Es war nur komisch, dass sie darüber nicht lachen konnte. Als enthielten diese Aussagen einen Kern der Wahrheit.
Egal, was es war, sie würde sich wirklich Gedanken darüber machen, was zu tun war. Dieser Pater hatte so intensiv gesprochen und das Unglaubliche schon glaubhaft gemacht.
Das war eigentlich nicht möglich, aber er hatte den Namen Godwin de Salier immer wieder erwähnt, denn der musste ihm wahnsinnig wichtig sein.
In ihr Schwesternzimmer ging sie noch nicht zurück, denn sie hatte noch einen Job zu erledigen. Es war üblich, dass sie in der Nacht noch mal nach den Patienten schaute und dabei kurze Blicke in die Zimmer warf.
Der Aufgabe kam sie jetzt nach. Es war Routine und die wurde auch nur einmal von einer Frau unterbrochen, die um Wasser bat. Die Schwester drückte ihr ein Glas zwischen die Hände und sah im schwachen Licht der Lampe das noch junge, jetzt angespannte Gesicht der Patientin.
»Geht es Ihnen gut?«
Die Frau trank erst das Glas leer. Ihre Augen zeigten einen ängstlichen Ausdruck. Auf der Stirn zeichneten sich einige Falten ab, und mit kaum zu verstehender Stimme gab sie die Antwort.
»Nein, mir geht es nicht besonders gut.«
»Warum nicht?«
Sie blickte sich um. »Es ist alles so anders geworden.«
»Bitte, das kann ich nicht glauben, Helga. Sie befinden sich in Ihrem Zimmer, und da hat sich in den letzten Tagen wirklich nichts verändert.«
»Doch!«
»Ich sehe nichts.«
Helga schnappte nach Luft. »Aber spüren Sie es denn nicht? Merken Sie nichts?«
»Nein, tut mir leid.«
»Es liegt etwas in der Luft, Schwester! Da kommt was auf uns zu. Diese Nacht hat es in sich. Sie ist so anders. Sie schafft Platz für die andere Welt. Das Tor ist offen. Die Toten, die Geister …« Ihre Rede brach nach einem klagenden Laut ab, und sie fiel wieder zurück in das Kissen.
Judith schüttelte den Kopf. Das konnte sie nicht fassen. Das war ihr einfach zu hoch, und sie suchte nach tröstenden Worten, die ihr auch einfielen.
»Was immer Sie denken mögen, Helga, auch diese Nacht geht vorbei. Sie dauert nur noch wenige Stunden. Wenn Sie möchten, lasse ich das Licht brennen.«
»Danke, das ist sehr nett.«
Judith strich noch mal über die Wangen der Patientin, danach verließ sie auch dieses Zimmer.
Die Menschen, die hier lagen, befanden sich auf einer privaten Station, denn jeder Patient hatte ein Einzelzimmer. Die meisten schliefen fest, denn tagsüber liefen die Therapien, die oftmals sehr anstrengend waren.
Eigentlich hatte Judith vorgehabt, zurück in ihr Zimmer zu gehen. Sie wollte dort ein wenig lesen und das Nachtprogramm im Radio hören, doch als sie im Flur stand, da blieb sie plötzlich starr stehen, als hätte sie einen entsprechenden Befehl erhalten.
Ein schlechtes Gewissen musste sie nicht haben, und doch kam es ihr vor, als wäre dies der Fall. Ein schlechtes Gewissen dem Patienten Gerold gegenüber. Er befand sich wieder in seinem Zimmer und war allein mit seinen Gedanken und Vorstellungen. Sie glaubte nicht, dass er schlafen konnte. Was ihm durch den Kopf gegangen war – egal ob es stimmte oder nicht –, würde ihn schon aufwühlen. Und dann dachte sie daran, dass er ihr in manchen Sekunden wieder völlig normal vorgekommen war, obwohl sich seine Erzählungen um ein unheimliches Thema drehten.
Sie nickte, denn Judith hatte einen Entschluss gefasst. Sie würde erst später in ihr Zimmer gehen und zuvor noch nach dem Pater schauen. Das war sie ihrem Gewissen einfach schuldig. Die Worte dieses Mannes hatten sie derart aufgewühlt, dass sie einfach etwas unternehmen musste.
Die Schwester machte sich auf den Weg. Es war wie immer in der Nacht, doch in diesem Fall schien es anders zu sein. Es lag an der Stimmung im Flur. Zwar breitete sich die Stille aus, aber auch die war nicht so wie sonst. Sie schien sich verdichtet zu haben und lag auf ihr wie ein Druck.
Auch als sie die Tür erreichte, öffnete sie diese nicht sofort. Das war ebenfalls anders als sonst. Sogar eine Gänsehaut hatte sich auf ihre Arme gelegt, auch das war ihr fremd.
Sie öffnete die Tür.
Vorsichtig, als wäre sie darauf gefasst, dass etwas Besonderes
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