178 - Die vergessene Macht
einem unseligen Bruderkrieg, und wer immer sterbend zu Boden sank, tränkte die Erde seiner Väter mit Blut, nicht die seiner Feinde. Schuld an der Tragödie war Mordred, der selbsternannte Herrscher von England und Wales.
Die Tochter von Uther Pendragon hatte dieses Kind des Inzests geboren. Artus seufzte schwer.
Mordred war sein Sohn.
Das Pferd des Königs scheute, als ihm ein Toter vor die Hufe fiel. Ärgerlich riss Artus an den Zügeln, trieb das Tier über den blutigen Körper. Er durfte nicht zögerlich wirken und keine Schwäche zeigen, denn hier in Cornwall konnte er weit mehr verlieren als nur eine Schlacht: Wenn Artus nicht mit der Entschlossenheit der Gerechten gegen Mordred anritt, war die Arbeit seiner Regentschaft umsonst, und das Land würde einen vernichtenden Rückschlag erleiden.
Wieder und wieder hatte Artus die Sachsen bekämpft, diese Pest, die sich in Britannien ausbreiten wollte. Er hatte sie besiegt, vertrieben und die Grenzen gesichert – mit Hilfe eines Volkes, das wie ein Mann hinter ihm stand. Mordred hatte diese Einigkeit zerstört.
War es ein Fehler gewesen, ihn als Statthalter einzusetzen für die Zeit des Feldzugs in Gallien? Ganz sicher! Mordred hatte das Gerücht verbreitet, der König sei tot; dann hatte er sich des Thrones bemächtigt. Artus war gezwungen gewesen, vorzeitig heimzukehren, um zu retten, was zu retten war.
Er warf einen raschen Blick auf Bors de Ganis, den Reiter zu seiner Linken. Bors hatte ihn vor der Abreise nach Gallien beschworen, seine Wahl des Stellvertreters zu überdenken. Ihr macht einen Fehler, mein König! , hatte er gesagt. Hört nicht auf Euer Herz, ich bitte Euch! Lasst Mordred nicht zu mächtig werden! Er ist gefährlich, auch wenn königliches Blut in seinen Adern fließt.
Oder gerade deshalb! , hatte Bors hinzugefügt, und diese Anspielung auf Mordreds Abstammung hätte manch anderen den Kopf gekostet. Nicht aber Bors, um dessen willen der König eigentlich allen Grund hatte, guten Mutes zu sein. Bors und der zweite Ritter an Artus’ Seite standen Lancelot nahe; Bors war sein Vetter, Sir Galahad sein Sohn.
Doch der eine, der mehr zählte als jeder andere, fehlte: Lancelot selbst. Seinetwegen war Artus mit einer Streitmacht nach Gallien gezogen. Jede Schlacht, die er dort schlug, sollte Lancelot schmerzen, jeder Mann, den er tötete, starb an Lancelots Stelle. Tausend Tode, tausend Qualen. Als Vergeltung für den ohnmächtigen Schmerz des Königs. Lancelot hatte Guinevere beschlafen, und noch immer wusste Artus nicht, was ihn mehr quälte: der Verrat seiner Königin oder der Verlust seines besten, brüderlich geliebten Freundes.
»Da ist Mordred, mein König!«, sagte Bors ruhig.
Artus sah auf. Weiter vorn formierte sich eine Reihe berittener Krieger. Ihre Pferde schnaubten unruhig und warfen die Köpfe hoch. Über ihnen flatterte Mordreds Standarte, der Drache von Cornwall , ein geflügeltes Untier auf blutrotem Grund.
Mordred hielt sehr bewusst an heidnischen Werten fest. Ein großer Teil der Bevölkerung lehnte die neue Religion in England – das Christentum – ab, und diese Menschen wandten sich Mordred zu. Aufgestachelt von den Druiden, deren Einfluss im Staat zu schwinden drohte, hatten sie sich auf einen vermeintlich gerechten Kampf eingelassen. Er war inzwischen zum Bürgerkrieg ausgeufert.
Artus blickte hinüber zu Mordreds Reitern. Sie erschienen ihm wie ein Zerrspiegel seiner eigenen, einst so mächtigen Gefolgschaft. Wie gern hätte er die Ritter der Tafelrunde heute an seiner Seite gehabt! Doch die Edlen hatten ihren Preis bezahlt für den Erhalt des Landes; viele Kämpfe und viele Jahre hatten sie aufgerieben, und nur wenige waren noch am Leben.
Erec und Iwein schlugen sich durch die Menge heran.
Artus nickte ihnen zu, dann befahl er Bors: »Wenn die beiden hier sind, übernehmt ihr die Flanken! Treibt das Gezücht da vorn auseinander und haltet es mir vom Leib!«
Galahad berührte den Ärmel seines Kettenhemdes.
»Lasst mich gegen Mordred antreten!«, bat er. »Ich bin ein guter Schwertkämpfer und…« Er stockte errötend, suchte nach Worten.
»Jünger als ich?«, schlug der König lächelnd vor.
»Entbehrlich!«, verbesserte Galahad.
Artus war zufrieden: Der junge Ritter zeigte Lancelots Klugheit und Mut! Er würde ganz sicher einen Platz in der Zukunft Britanniens einnehmen. Umso wichtiger war es, ihn heute zu schützen.
»Bors?« Artus wandte sich an den Älteren. »Du reitest mit Galahad. Es ist mein
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