1816 - Der sanfte Henker
Glamour, hier sah alles sehr nüchtern aus, selbst die Plakate an den Wänden zeigten keine großen glamourösen Motive. Die Mannequins und Dressmen auf ihnen wirkten so normal und ganz und gar nicht aus dem Rahmen gefallen.
Ich wollte dorthin, wo gearbeitet wurde. Da gab es einen Eingang, aber ich sah auch einen Glaskasten, in dem eine junge Frau saß und telefonierte. Zu sehen war ihre weiße Bluse mit einer bunten Weste darüber. Das dunkle Haar war lässig nach hinten gekämmt.
Erst als sie den Hörer senkte, ging ich auf die gläserne Loge zu. Der Kopf der Frau zuckte in die Höhe, sie sah mich und dann knipste sie ihr Lächeln an.
»Guten Tag, Sir, was kann ich für Sie tun?«
»Es wäre nett, wenn Sie mich bei ihrer Chefin anmelden könnten.«
»Aber das ist …«
Ich fügte hinzu: »Mrs Londry ist doch Ihre Chefin?«
»Das stimmt.«
»Dann würde ich gern mit ihr sprechen.«
»Ohne dass Sie angemeldet sind?«
»Ja.«
»Das ist nicht drin, Mister.« Sie schaute zur Seite und hob die Schultern. »Nichts geht ohne Anmeldung. Mrs Londry ist eine Meisterin ihres Fachs und schwer beschäftigt. Da haben Sie keine Chance. In der letzten Zeit ist aus unserem Label wirklich eine Marke geworden, und das hat sich auf allen Gebieten gezeigt.«
»Dann ist sie ausgebucht?«
»Ja.«
»Schade.«
»Da kann man eben nichts machen.«
Mein trauriges Gesicht musste sie wohl gerührt haben, zudem war ich nicht bereit, mich abweisen zu lassen, und hatte vor, meinen Ausweis zu zeigen, als ich die Frage vernahm.
»Wen wollten Sie genau sprechen, Mister?«
»Ich sagte es doch. Mrs Jamila Londry.«
»Da haben Sie Pech.«
»Wieso?«
Die junge Frau winkte ab. »Sie ist gar nicht hier, sie hat nur selten etwas mit der Firma zu tun.«
»Selten?« Ich konnte es nicht glauben. »Wieso selten? Ich habe doch ihren Namen gelesen.«
»Das schon, aber nicht Jamila ist die Frau, die sich um das Geschäft kümmert.«
»Wer dann?«
»Ihre Schwester. Mabel.«
Das war neu für mich. Und ich glaubte auch nicht, dass die Person mich angelogen hatte. Ihr Blick war offen und ehrlich, und als sie mein Gesicht sah, fing sie an zu lachen. Sie entschuldigte sich auch dafür und fragte: »Haben Sie das nicht gewusst?«
»Nein, das habe ich nicht.«
»Da sehen Sie, wie man sich irren kann.« Sie schüttelte den Kopf. »Wenn Sie mich jetzt fragen, wo Jamila Londry steckt, dann muss ich passen.«
»Und was ist mit ihrer Schwester Mabel?«
»Ja, sie ist im Haus.«
»Das ist gut.«
»Sorry, aber auch bei ihr müssen Sie sich anmelden. Mabel ist immer sehr beschäftigt.«
»Das bin ich auch.« Nach diesen Worten legte ich meinen Ausweis so hin, dass die Schwarzhaarige ihn lesen konnte.
»Oh, Sie sind von Scotland Yard.«
»Wie Sie sehen. Ist Mabel jetzt für mich zu sprechen oder soll ich sie in mein Büro bestellen? Das würde noch mehr Zeit kosten.«
»Nein, nein, ich versuche es.« Sie warf einen letzten Blick auf den Ausweis. »Mister Sinclair.«
»Danke.«
Es verging wieder Zeit. Ich musste mich mit meiner Enttäuschung abfinden, denn ich hatte mir etwas ganz anderes vorgestellt. Das war nun geplatzt, und ich fragte mich, ob ich überhaupt weitermachen sollte. Auf der anderen Seite war es vielleicht möglich, mehr über Jamila zu erfahren, falls diese Mabel nicht mauerte.
Die Dunkelhaarige telefonierte. Ich hatte gesehen, dass sie ihre Lippen bewegte. Jetzt hatte sie den Hörer aufgelegt und starrte mich an.
»Und?«, fragte ich.
»Sie haben Glück.«
»Aha.«
Ein Lächeln huschte über das Gesicht der jungen Frau. »Die Chefin wird Sie empfangen.«
»Wunderbar, kommt sie her?«
»Nein, ich werde Sie zu ihr bringen.«
»Auch gut.«
In der nächsten Zeit würde sich herausstellen, ob ich auf das falsche Pferd gesetzt hatte oder nicht …
***
Die Dunkelhaarige ging vor. Sie trug einen recht kurzen schwarzen und leicht ausgestellten Rock, der beim Gehen leicht wippte. Der Gang, den wir nehmen mussten, war nicht sehr lang. Er endete vor einer Doppeltür, hinter der das Reich der Mode lag.
Das war schon ein großer Raum, in dem gearbeitet wurde. Zuschneiden, nähen, anprobieren, und sogar ein Laufsteg war zu sehen. Es gab zahlreiche Wände in dieser Halle, aber sie standen nie fest, denn sie liefen auf Rollen und konnten hin und her geschoben werden.
Es gab noch eine untere Etage, die man über eine Treppe erreichen konnte, aber da brauchten wir nicht hin. Wir konnten auf der oberen Ebene bleiben. Da gab es auch
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