1816 - Der sanfte Henker
jetzt auch ein Geheimnis.« Sie legte auf, und ich konnte mir vorstellen, wie sie innerlich grinste.
Suko stand noch in der Nähe. »Du willst wirklich allein in die Höhle des Löwen?«
»Wenn, dann der Löwin.«
»Würde ich nicht.«
»Ich weiß. Ich soll dich mitnehmen.«
»Perfekt.«
Es war natürlich klar, dass vier Augen mehr sahen als zwei. Es war auch keine schlechte Idee, mit Suko zu fahren. Nur wollte ich nicht, dass er sichtbar war.
»Was hältst du davon, wenn du im Hintergrund bleibst und deinen eigenen Weg gehst?«
»Damit habe ich kein Problem. Außerdem ist Shao ein perfekter Lockvogel.«
Das lief mir zu sehr aus dem Ruder. »Willst du sie tatsächlich mitnehmen?«
Er lachte mich an. »Ich werde Shaos Bild vorzeigen. Als Chinesin ist man doch heute überall begehrt. Oder etwa nicht?«
»Aha, du kommst mit einem Foto?«
»Erst mal schon.«
»Dann kann ja nichts schiefgehen«, sagte ich locker und ahnte noch nicht, was da auf mich zukommen würde …
***
Es war kein Problem, das Haus zu finden, in dem die Firma residierte. Es lag in einem Gebiet, in dem auch mehrere Firmen ihren Sitz hatten und die Wohnhäuser mit Menschen verschwunden waren.
Wer bei Londry Fashion an Glamour dachte, der lag zumindest hier falsch. In dieser Umgebung roch es nach Arbeit. Egal, wer sich hier etabliert hatte. Aber es waren keine großen Firmen, sondern die kleinen und mittleren.
Um mein Ziel zu finden, musste ich in eine Seitenstraße fahren. Es ging nur von einer Seite hinein, denn ich sah das Ende der Straße als eine Sackgasse.
Langsam rollte ich durch die Straße. Auf der linken Seite fand ich den Bau. Londry Fashion stand an der Hauswand. Die Schrift wurde links und rechts von zwei geschwungenen Röcken eingerahmt.
Ich fuhr an dem Haus vorbei und bis zum Ende der Straße. Dort stoppte ich und griff zum Handy. Es war mit Suko abgemacht worden, dass ich ihn anrufen würde.
Er saß noch im Büro. »Und? Bist du schon da, John?«
»Ja.«
»Keine Probleme?«
»Auch nicht mit dem Finden«, sagte ich. »Es ist eine normale Straße, Suko. Sie liegt in einem Industriegebiet, und man hat keine Mühe, die Firma zu finden.«
»Okay, was machst du jetzt? Gehst du rein?«
»Ja.«
»Und wann soll ich kommen?«
Auf die Frage hatte ich gewartet. »Es war abgemacht, dass ich dich anrufe.«
Suko lachte. »Hätte ich beinahe vergessen.«
»Ja, ja, so kann man es auch sagen.«
»Gut, dann lasse ich dich jetzt allein. Und gib acht, dass man dich nicht verführt.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Nicht ich. Es war Glenda.«
»Klar. So etwas habe ich mir fast gedacht. Sag ihr, dass sie sich keine Sorgen machen muss.«
»Werde ich. Ob das reicht, kann ich dir nicht sagen. Mir kommt sie vor, als würde sie auf heißen Kohlen sitzen. Du kennst sie ja, John. Es gibt Momente, da ist sie nicht zu halten.«
»Okay, wir sehen uns später.«
Es war mein letzter Satz, den ich gesprochen hatte. Dann ließ ich das Handy verschwinden, startete wieder und rollte schließlich auf den Platz neben der Firma, wo ich meinen Rover gut parken konnte.
***
Glendas Gesicht zeigte einen Ausdruck, der Suko gar nicht gefiel. »He, was ist los mit dir?«
Sie winkte ab. »Nichts Besonderes. Es ist eigentlich fast wie immer. Ich halte hier die Stellung im Büro und ihr seid unterwegs.«
»Nein, nein, ich bin hier.«
»Das stimmt. Ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich mir schon Gedanken mache.«
»Über die Firma?«
»Ja.«
»Warum?«
»Ich traue ihr nicht. Nach außen hin machen sie Mode, aber wer sind sie wirklich? Eine getarnte Filiale der Hölle? Kann man das sagen?«
»Wie kommst du darauf?«
»Ist mir gerade eingefallen. Ich will den Verdacht auch nicht so von der Hand weisen, wer weiß, was die andere Seite sich wieder ausgedacht hat.«
»Du glaubst noch immer an eine Falle?«
»Ja. Und sie steht schon jetzt weit offen, sodass John hineintappt. Es wäre besser gewesen, wenn du ihn begleitet hättest, denn so fürchte ich, dass du zu spät kommst.«
»Ich werden noch eine halbe Stunde warten, dann fahre ich los.«
Glenda Perkins nickte, ohne dass sie Suko anschaute …
***
Wer sich normal verhält, der wird auch normal empfangen. Von dieser Devise ging ich aus, als ich die Firma betrat und ich mich in dem Raum hinter der Tür erst mal umschaute.
Es gab hier nicht viel zu sehen. Wenn man von mir eine Beschreibung verlangt hätte, dann hätte ich den Begriff nüchtern gebraucht. Hier roch es nicht nach
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