1842 - Ein kleiner Freund
Kopf.
„Schade", sagte Ron. „Ich dachte, wir könnten uns aufeinander verlassen. Ich bestrafe dich ungern, Ilke, doch du läßt mir keine andere Wahl. Du wirst die Wohnung eine Woche lang nicht verlassen, das heißt, du gehst nur in den Hort und kommst anschließend sofort zurück. Haben wir uns verstanden?"
Sie wollte widersprechen, schnappte schon nach Luft, senkte dann aber doch betreten den Kopf.
„Ron und ich haben uns größte Sorgen gemacht", seufzte Dindra. „Trotzdem sind wir froh, daß du wieder da bist. Komm, wir versuchen gemeinsam, den Schmutz wegzukriegen. Das scheint Schmieröl zu sein.
Wo hast du dich nur herumgetrieben?"
*
Illie war so müde und erschöpft, daß sie fast im Stehen einschlief. Nicht einmal die Vibrationsdusche konnte sie wachrütteln. Was ihre Mutter sagte, ging an ihr vorbei; sie registrierte nicht, daß sie mehrmals gefragt wurde, was geschehen war.
Das einzige, was in ihrer Erinnerung haftenblieb, war der Moment, in dem sie völlig erledigt ins Bett fiel. „Jack", murmelte sie noch und war eingeschlafen.
*
„Es ist dreißig Minuten nach acht Uhr, Zeit zum Aufstehen, Ilara Clandor."
Unnachgiebig fraß die Syntronstimme sich in ihr Bewußtsein vor. Aber Illie wollte nicht aufwachen, sie war hundemüde. Seufzend rollte sie sich zusammen und dämmerte schon wieder hinüber ins Reich der Träume.
„Wach bitte auf, Ilara Clandor!"
Sie rollte sich auf den Bauch und vergrub den Kopf im Kissen. Gleich darauf griff eine Hand nach ihrer Schulter und rüttelte sie.
„Jack?" Mühsam blinzelnd versuchte Ilara unter verklebten Augenlidern hindurch mehr zu erkennen als nur verwaschene Schatten.
„Wer bis in die frühen Morgenstunden im Tower umhergeistern kann, der ist auch in der Lage, rechtzeitig aufzustehen." Dindras Stimme klang ärgerlich. „Du nimmst für dich in Anspruch, erwachsen sein zu wollen, also handle danach!"
„Ich bin doch noch klein." Ilara rieb sich mit beiden Händen die Augenwinkel. Mit der tatkräftigen Unterstützung ihrer Mutter schaffte sie es endlich, sich aufzusetzen.
„Wer ist Jack?"
Illie erschrak. Was wußten ihre Eltern? Niemals würden sie ihr den neuen Spielgefährten erlauben, jedenfalls nicht nach der Strafpredigt, die Ron ihr vor dem Einschlafen gehalten hatte. Dabei war alles halb so schlimm gewesen; sie verstand nicht, weshalb ihre Eltern sich gesorgt hatten. Niemand ging im Silo verloren.
Zum Glück tat Dinnie ihre eigene Frage mit einem Achselzucken ab.
„Du hattest Alpträume, Kind. Das kommt davon, wenn man sich selbst überschätzt."
Die folgende Prozedur war wie an jedem Morgen, nur daß Ilara diesmal alles schwerer fiel als sonst und sie das Gefühl hatte, die Zeit krieche langsam wie eine Schnecke dahin. Sie dachte an Jack, der im Bauch des Silos darauf wartete, daß sie wieder zu ihm kam. Am liebsten wäre sie auf der Stelle aufgesprungen und zu ihm gerannt.
„Du weißt, daß du einiges gutzumachen hast", erinnerte sie Ron.
„Jack braucht mich!" hätte sie beinahe losgeschrien, aber sie biß sich gerade noch auf die Zunge.
Ron hatte kein Verständnis, Dindra auch nicht. Für ihre Eltern war alles reglementiert, sie waren einfach zu alt, um an Wunder zu glauben.
Vergeblich kramte sie in ihrer Erinnerung, wie Jack ausgesehen hatte, aber immer wieder drängte sich das Bild aus dem Trivideo in den Vordergrund. Hatte Jack wirklich rote Haare? Illie hatte keinen Hunger, sie aß fast nichts.
„Wenn sie nicht mag, laß sie", sagte Ron zu Dindra. „Sie hat ihre Trotzphase."
Verflixte Haarfarbe! Nein, das war nicht wichtig. Einzig und allein Jacks Hilflosigkeit zählte. Er brauchte jemanden, der ihn bemutterte, der ihm half, sich im Silo zurechtzufinden. Irgendwie mußte sie es schaffen, ihn nach oben zu holen .
... und wenn ich es Mum einfach sage?
Unsinn! Die Erwachsenen reagierten stets mit Mißtrauen. Was sie nicht kannten, wurde zuerst als feindlich eingestuft - dabei war Jack so süß. Er konnte keiner Fliege etwas zuleide tun.
An diesem Morgen trank Ilara nicht einmal ihren Fruchtsaft aus.
Im Hort war sie nicht bei der Sache. Vom Lernprogramm bekam sie wenig mit, ihren Freundinnen gegenüber reagierte sie gereizt. Sie fand so ziemlich alles blöd, was nicht irgendwie mit Jack zu tun hatte.
Daß Ron sie abholte, kam überraschend. Fast hätte sie losgeheult. Aber das hätte Jack bestimmt nicht gewollt. Illie glaubte, seine Augen vor sich zu sehengroße, ausdrucksstarke Augen, die sie baten,
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