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188 - Der lebende Nebel

188 - Der lebende Nebel

Titel: 188 - Der lebende Nebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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Gewänder aus mit Drachen bestickter Seide. Vier Fünftel schienen weiblichen Geschlechts zu sein. Als sie dann an einem Tisch saßen, musste er zugeben, noch nie so viele schöne Frauen in einem Raum gesehen zu haben.
    »Lay ghna sia naya wuh?«
    »Wie bitte?« Rulfan schaute überrascht auf.
    »Sie fragt, was du trinken möchtest.« Victorius’ Blick ruhte mit Wohlgefallen auf der Frau, die sie an ihren Tisch geführt hatte.
    »Das Gleiche wie du.« Rulfan winkte ab. Er schaute sich fasziniert um. Einige Frauen wandten sich zu ihm um und bedachten ihn – den blassen weißhaarigen Exoten – mit einem geheimnisvollen Lächeln.
    Rulfan kam erst wieder zu sich, als die Wirtin Gläser vor ihnen abstellte.
    »Es geht aufs Haus«, übersetzte Victorius ihre Worte. Er prostete ihr zu. »Ist sie nicht wunderschön?«
    »Hier gibt’s viele schöne Frauen.« Rulfan deutete um sich, aber sein Gefährte hatte keinen Blick für die anderen Damen.
    »Was für ein Leib«, murmelte Victorius, als die Wirtin gegangen war. »Sie heißt Liwán. Es heißt ›die Schöne‹. – Ist dir je eine Frau begegnet, die so treffend benannt wurde?«
    »Eigentlich schon.« Rulfan dachte an Aruula, hob sein Glas und prostete Victorius zu. »Auf die Schönheit der Frauen!«
    »Und Liwán die Schöne!«
    »Sowieso.« Rulfan hatten das Getränk kaum gekippt, als ihm bewusst wurde, wie mordsmäßig schön das Leben trotz aller hinter ihnen liegenden Strapazen doch war.
    Wer konnte mehr verlangen als das, was ihnen gerade widerfuhr? Er schaute sich in der Gaststube um. Hatte je eine Kerze schöner gestrahlt als heute Abend? Hatte je eine Brandung geheimnisvoller gerauscht? Hatte er je zuvor in einem Gasthaus voller Damen gesessen, die ihm zugetan waren?
    »Ist das Leben nicht wunderbar?«, hörte er Victorius gleich darauf sagen. »Haben wir es nicht gut angetroffen?« Schon spürte er die kräftige Hand seines Gefährten auf der Schulter.
    »Das Glück ist mit uns, Rulfan! Folgendes: Wir sind Gefahren entronnen, in denen andere untergegangen wären!«
    »Das finde ich auch.« Rulfan nickte. Er wollte gerade einen Monolog zum Lobe des Lebens in Angriff nehmen, als Liwán die Schöne und zwei junge Mädchen an ihren Tisch traten. Sie stellten freundlich lächelnd ein gewaltiges Tablett mit Schalen voller Fleisch und Gemüse vor ihnen ab und zogen sich unter Verbeugungen in die Küche zurück.
    Liwán schenkte ihnen aus einer in Bast gehüllten Flasche nach, und Victorius übersetzte ihre Worte: »Trinkt auf das Wohl des Fischgottes, der nicht nur die Erdenscheibe, sondern auch die Froditen erschaffen hat.«
    Victorius übersetzte sie so gewandt, als hätte er Jahre seines Lebens auf diesen Inseln verbracht. Aber natürlich las er ihre Gedanken und konnte die Worte deswegen adäquat umsetzen.
    Rulfan hätte sich gern erkundigt, was Froditen waren, doch der hungrige Prinz griff schon zu. Rulfan verschob die Frage auf später.
    Später, als er satt war, vergaß er sie dann. Außerdem galt sein Interesse eher den Schönheiten dieser Welt. Nach dem zweiten Glas des grünen Likörs empfand er sie als so umwerfend, dass er den Blick kaum noch von der Natur vor dem Fenster lösen konnte.
    Allein der Himmel zeigte eine solche glitzernde Pracht, dass er das Verlangen spürte, unter ihm zu lustwandeln. Als er sich zu Victorius umwandte, um ihn zu sagen, dass er nun die frische Luft genießen wollte, folgte dieser schon der gestenreichen Einladung Liwáns, sich an den Tresen zu begeben, hinter dem sie Gläser polierte.
    Da es Rulfan gefiel, wenn Menschen sich mochten, winkte er den beiden zu und ging hinaus. Vor dem Gasthaus atmete er eine ungeheuer wohlschmeckende und seiner Haut schmeichelnde Luft. Je länger er unter dem Sternenzelt stand und sich die Gegend anschaute, umso sicherer wurde er: Diese Insel war das Paradies! Victorius empfand fraglos ebenso. Man spürte es geradezu: Die Luft knisterte vor Energie.
    Rulfan hatte sich noch nie so wohl gefühlt. In seinem Hirn war kein einziger negativer Gedanke.
    Was war mit ihm los? Er umrundete in Gedanken versunken das Gasthaus, nickte Menschen zu, die auf Veranden saßen und die Beine baumeln ließen. Die Erwachsenen lächelten freundlich. Einige Kinder reagierten eher erschreckt.
    Rulfan kannte den Grund: Albinos gehörten nirgendwo zum typischen Ortsbild. Es kam vor, dass jemand, der ihm unverhofft gegenüberstand, in ihm einen Abgesandten der Hölle sah.
    Egal: Die Luft schmeckte nach Vanille. Das Leben

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