19 - Am Jenseits
seine Aufmerksamkeit verdoppelte. „Dieser, derselbe Geist war es?“
„Ja.“
„Und ihr seid natürlich sofort ausgerissen!“
„Nein. Aber er hielt zwei flammende Irrlichter in Händen, aus denen lauter Köpfe lebendiger Teufel hervorsprühten. Wir sind Gläubige des Koran und fromme Bekenner des Propheten; aber mit Geistern und Teufeln zu kämpfen, das darf uns niemand zumuten!“
„Ich werde bald erfahren, was für flammende Irrlichter das gewesen sind. Hattet ihr denn ein Feuer brennen?“
„Sogar zwei. Erst als der Geist sich dem ersten so weit genähert hatte, daß wir sahen, es sei wirklich dieser Geist, entfernten wir uns, eher nicht.“
„Und ließet die Asaker liegen?!“
„Allerdings. Was hätten wir sonst machen sollen? Dann sahen wir aus der Ferne viele, viele dunkle, schattenhafte Gestalten über den Platz huschen, und als sie fort waren und wir zurückkehrten, fanden wir die Asaker nicht mehr vor; auch ihre Kamele waren weg. Sie sind von den Geistern entführt worden!“
„Ich will dir den größten dieser Geister zeigen. Schau dorthin! Wer sitzt da bei Abadilah, unserm Gaste?“
Der Bote hatte den Münedschi noch nicht bemerkt. Als er ihn nun erblickte, rief er aus:
„Allah behüte mich vor dem neunmal gesteinigten Teufel! Da sitzt er ja! Das ist er! Das ist er!“
„Schau ihn an! Ist das ein Teufel, ein Gespenst oder ein Mensch?“
„Sollte – sollte – ist – – – sollte – ist?“
Der Mann war ganz perplex. Der Scheik schrie ihn an:
„Wenn du jetzt, am hellen Tage, noch nicht weißt, woran du bist, so brauch' ich mich allerdings nicht darüber zu wundern, daß ihr in der dunkeln Nacht vor Angst fast den Verstand verloren habt! Er war es gewiß; er muß es unbedingt gewesen sein. Wer weiß, was für Flammen er in den Händen gehabt hat. Abadilah, mein Freund, ich bitte dich, ihn doch einmal zu fragen!“
Der Ghani kam diesem Wunsche nach, indem er sich bei dem neben ihm sitzenden Blinden erkundigte:
„Hast du gehört, was jetzt gesprochen wurde?“
„Ja, jedes Wort“, antwortete der Gefragte, welcher vollständig wach und munter war.
„Weißt du, daß du gestern am Abende hier hüben bei uns am Brunnen gewesen bist?“
„Nein.“
„Daß du da gesprochen hast?“
„Nein.“
„Aber daß du an einem andern Orte warst, das weißt du wohl?“
„Ja.“
„Wo?“
„Den Ort kenne ich nicht. Ich wurde geführt und bekam dann zwei brennende Fackeln in die Hände.“
„Von wem?“
„Von dem Scheik der Haddedihn und dem Effendi aus dem Wadi Draha. Ich bin darauf eingegangen, weil das Weib sagte, es geschehe nur zu meinem Wohle.“
„Hast du gewußt, um was es sich handelt?“
„Nein. Es wurde mir nicht mitgeteilt. Dieser Dieb deines Verzeichnisses und seine Hehler haben mich betrogen und mich schmachvoll hintergangen. Wenn sie aufrichtig gewesen wären, hätte ich es um keinen Preis getan. Allah wird sie strafen!“
„Kannst du dir vielleicht denken, was für Schatten das gewesen sind, welche bei dir gewesen sein sollen?“
„Wahrscheinlich waren es die Verbündeten der Betrüger, die Krieger der Haddedihn, denn auf dem Wege, den ich gehen mußte, hörte ich neben und hinter mir die Schritte vieler Menschen, welche mich begleiteten. Und auf dem Rückwege sagte mir mein Ohr, daß sich Kamele hinter mir befanden. Ich bin zur Ausführung einer Schlechtigkeit benützt worden, von der ich keine Ahnung hatte; aber Allah ist gerecht; er läßt keine Tat ohne Lohn oder ohne Strafe, und ich weiß, daß diese Diebe und Betrüger einst nicht über Es Ssiret, die Brücke des Todes, hinüberkommen, sondern in den Abgrund des Verderbens stürzen werden!“
„So ist also jetzt alles erklärt!“ zürnte der Scheik. „Das Licht der Fackeln hat eure Phantasie erhitzt und euch Teufelsköpfe vorgeflackert, wo gar keine waren. Die Haddedihn habt ihr für Geister gehalten und seid vor ihnen ausgerissen, anstatt sie einfach niederzuschießen. Dadurch wurde die Befreiung der Gefangenen möglich, mit denen ich mir hier den Sieg erzwingen wollte und auch erzwungen hätte. Ich werde mit euch abrechnen. Diesen alten, blinden, kindischen und unvorsichtigen Menschen werden wir unschädlich machen müssen, damit wir nicht noch Ärgeres erleben, als schon bisher geschehen ist! Der unerfahrenste Knabe muß meinen Grimm begreifen, daß ich mich dieser Fehler wegen ganz unfähig zum Widerstand in den Händen derer befinde, über die wir hätten lachen können, wenn
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