19 - Am Jenseits
doch gehabt: Er bedarf unserer Hilfe, und wir müssen sie ihm bringen, ohne ihn vorher nach allem ausgefragt zu haben. Glücklicherweise sind wir mit Wasser so reichlich versehen, daß diese Wohltätigkeit uns nicht selbst in Gefahr bringen wird. Reiten wir also hin!“
Wir bogen daher von unserem Wege ab und ließen uns von Omar Ben Sadek nach der betreffenden Stelle führen, die wir nach vielleicht drei Viertelstunden erreichten. Da lagen die Kamele noch so, wie sie sich vor Erschöpfung niedergeworfen hatten; die Höcker waren abgezehrt; man sah nicht die geringste Lippenbewegung des Wiederkauens. Die fünf Männer hockten in einem engen Kreise, in dessen Mitte man den noch immer verhüllten Toten in sitzende Stellung aufgerichtet hatte, in welcher er durch die tief in den Sand gesteckten, langläufigen Gewehre unterstützt und gehalten wurde. Sie beteten laut. Als wir bis ganz nahe herangekommen waren, unterbrachen sie sich, und der Vorbeter, dem die andern Satz um Satz nachsprachen, sagte in mehr befehlendem als bittendem Tone:
„Ich sehe, daß ihr Wasser und trockenes Maisstroh habt. Gebt den Kamelen zu saufen und zu fressen, und laßt uns einige volle Schläuche hier. Dann aber stört uns nicht weiter im Gebete für den, den Allah abgerufen hat!“
Das war ja außerordentlich bescheiden von diesem Manne! Hier, wo das Futter und noch viel mehr das Wasser so kostbar war, sollten wir zunächst seine Tiere tränken und sättigen und dann gleich mehrere volle Schläuche hergeben, und zwar ohne ein Wort des Dankes abzuwarten, da er uns ja die Weisung gab, sie dann nicht zu stören, also wieder fortzureiten! Halefs Hand zuckte nach der Peitsche aus Nilpferdhaut, die er stets im Gürtel hängen hatte und gern öfter in Bewegung setzte, als ich ihm erlauben durfte. Ich winkte ihm aber ab.
„Ich soll ihm nicht die Peitsche geben?“ fragte er leise, aber zornig. „Ist es nicht die größte aller Unverschämtheiten von diesem Menschen, das von uns zu verlangen, was er soeben gefordert hat?“
„Allerdings; aber das ist noch kein Grund, um gleich zuzuschlagen. Du befindest dich hier unter stolzen, rachsüchtigen Arabern und nicht bei geknechteten Fellachen, bei denen man die Peitsche schwingen kann, ohne dies später blutig bezahlen zu müssen!“
„So sag, was wirst du tun?“
„Wir geben den Kamelen Wasser und Stroh; diese armen Tiere sollen nicht unter der Unverschämtheit ihrer Besitzer leiden.“
„Und diese?“
„Bekommen weiter kein Wasser, außer sie bitten uns sehr höflich darum. Wir bleiben hier lagern.“
„Hier? Bei diesen Kerls? Hamdullillah! Preis sei Allah, der dir diesen kostbaren Gedanken eingegeben hat! Denn wenn wir hier bei ihnen bleiben, werden wir wahrscheinlich etwas erleben, sie aber auch!“
„Wir hätten überhaupt nicht viel weiter reiten können, denn dann wird es Nacht, und da wir hier doch einmal einige Zeit versäumen, halte ich es für das beste, wir bleiben gleich da. Gib also deinen Leuten die nötigen Befehle!“
Da wir dieses Mal die Haddedihn bei uns hatten, brauchte ich mich um nichts zu bekümmern; es wurde mir jede Handreichung sehr gern und mit Liebe geleistet. Ich stieg also vom Hedschihn, gab die Stelle an, wohin ich meinen Teppich gelegt wünschte, und ging dann zu meinem Hengst, um ihn zu liebkosen und dabei einige Datteln knuspern zu lassen. Er war diese Aufmerksamkeit von mir gewohnt und dankbar dafür. Hierauf machte ich es mir auf meinem Teppiche bequem.
Ich saß, wie ich gewollt hatte, ganz in der Nähe der Fremden, dem Vorbeter gegenüber, den Omar Ben Sadek ‚den Alten‘ genannt hatte. Er hatte ein echtes, listiges, rücksichtsloses, gewalttätiges Mekkanergesicht und trotz seines Alters noch keine grauen Haare; vielmehr besaßen diese diejenige Färbung, welche man ‚Salz und Kümmel‘ zu nennen pflegt, also Grau und Dunkel gemischt. Der ‚Junge‘ saß an seiner Seite und war ihm so ähnlich, daß ich ihn gleich für seinen Sohn halten mußte. Er hatte etwas Unstetes, Ruheloses, Unzuverlässiges in seinen sich stets in Bewegung befindenden Augen. Die andern drei hatten nichts an sich, wodurch sie eine besondere Erwähnung verdienten. Gemein war ihnen allen die große Hinfälligkeit; wahrscheinlich waren wir grad zur rechten Zeit gekommen, sie vor dem Tode des Verschmachtens zu erretten. Ich glaubte, ihnen anzuhören, daß ihnen das laute, lange Beten schwer wurde. Warum schwiegen sie da nicht, zumal sie diese Litanei doch ganz und gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher