1902 - Bei den Setchenen
die austretende Giftflüssigkeit färbte das prächtige Karmesinrot rasch dunkel.
Das Insekt wehrte sich verzweifelt, doch bald darauf hatte Tebb es in einem Glas mit dichtem Schraubverschluß Verstaut.
„Verreck doch da drin!" knurrte sie wütend.
Sie hatte es nicht gleich zertreten, um festzustellen, ob es tatsächlich nur ein „harmloses" Insekt war, das sich tagsüber irgendwie aus Versehen hier drin verirrt hatte, oder ...
Und ihr Verdacht trog sie nicht.
*
Surt Ta-Celestain lag in seligem Schlummer, als Tebb Celestain sein Zimmer betrat.
Einen Moment lang stand sie einfach nur vor seiner Sandkuhle und sah ihn an.
Sie war lange nicht mehr hier gewesen, die Geschäfte hatten sie seit vielen Wochen so sehr beansprucht, daß sie für private Dinge keine Zeit mehr gehabt hatte.
Der Raum war wie immer unordentlich, überall lagen Bastelarbeiten und Material verstreut. Der Vivarium-Bereich jedoch war peinlich sauber, die Silbernußbäume mit ihren weit ausladenden, kräftigen Ästen, die auch Tebbs Gewicht aushalten konnten, standen in voller Blüte. Nicht mehr .lange, dann konnte Surt seine heißgeliebten Nüsse selbst ernten, anstatt sie einfach vorgesetzt zu bekommen. Der Boden war mit feinstem Sand aufgeschüttet, eine Wassergrube, Steppenkraut und Büschelgras vollendeten das trügerische Bild des freien Landes.
Aber Surt fühlte sich hier wohl; er zeigte selten Verlangen, hinauszuwollen. Wie alle Männer war er streng reviergebunden, er fühlte sich in seinem kleinen Reich am wohlsten.
Hier konnte er mit den geschickten Händen seines Armpaares wahre Kunstwerke aus Holz und Metall fertigen: verspielte, dekorative oder auch nützliche Gegenstände des täglichen Lebens, die nicht nur bei den Setchenen sehr beliebt waren. Darüber hinaus konnte niemand die Jungbrut besser beaufsichtigen als ein männlicher Setchene, sie standen sich sehr nahe bis zur ersten und einzigen Häutung und damit verbundenen Geschlechtsbildung.
Die Männer waren nur etwa halb so groß wie die Frauen, und ihre Beine nahmen im Verhältnis nur ein Drittel der Körperlänge ein. Das Armpaar auf der Brust war hingegen etwas stärker ausgebildet als bei den Frauen und vor allem zum Öffnen der Zwergnuß geeignet, von denen sich die Männer vorwiegend ernährten.
Während der Häutung, des Wechsels vom Jugend- ins Erwachsenenstadium, bildeten sich bei den künftigen weiblichen Setchenen die Reptilienschwänze zurück, während sie bei den männlichen erhalten blieben. Diese bewegten sich zumeist auf allen vieren und kletterten oder ruhten gern auf den Bäumen; dazu brauchten sie den Echsenschwanz für das Gleichgewicht.
Tebb Celestain verspürte Zärtlichkeit, als sie ihren Mann betrachtete. Nachdem sie ihn gefunden hatte, hatte Sie in einer Art Vision erahnt, daß sie eine der ganz großen Unternehmerinnen ihres Volkes werden würde. Setchenen-Männer machten nur etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung aus -einen Mann als Familiengründer zu finden, dessen Pheromon-Kombination auch noch paßte, war das schwierigste Hindernis für eine ehrgeizige junge Frau.
Mit Surt zusammen hatte Tebb das Haus der Celestain auf Quarantimo gegründet, und die heutige Großfamilie zusammen mit allen Angestellten und dem Haushalt - umfaßte mehr als zweihundert Mitglieder.
Zweifelsohne ging es Surt heute gut, er hatte zum Glück keinen nächtlichen Besucher gehabt. Das beruhigte Tebb, nur deswegen war sie gekommen. Dennoch blieb sie noch ein bißchen hier. Sie ging zu Surts Sandkuhle und stellte den Regler auf Erwärmung.
Dann setzte sie sich an den Rand und wartete.
Surt kam bald darauf zu sich. Er blinzelte erstaunt, als er Tebb erkannte. Sein flacher Kopf mit den breiten, dick verhornten Lippen hob sich aus dem Sandbett, dann prustete er einige Sandkörnchen aus seinen Nasenlöchern. Wie bei Tebb ging seine blaugrün schillernde Schuppenhaut am Hals und an den Händen in die blaue Lederhaut am übrigen Körper über; sein Echsenschwanz, mit dem er nun liebevoll Tebbs Taille umringelte, war ebenfalls beschuppt.
„Hallo, Tebb!" schnarrte er.
„Guten Morgen, mein Lieber", gab sie zurück.
Tebb wehrte sich, wenngleich nicht allzu heftig, gegen das zärtliche, kribbelnde Tasten des Echsenschwanzes. Im Gegensatz zu vielen anderen hatte sie sehr viel Glück gehabt: Es war nicht notwendig gewesen, die richtige Pheromon-Kombination künstlich zu erzeugen, um Surt auf sie aufmerksam zu machen. Sie paßten tatsächlich harmonisch
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