1912 - Der Zylinder-Mann
Einige Gäste des KosmosKlub jubelten, andere blieben skeptisch. Jedder trank noch einen Vurguzz auf die gute Nachricht und prostete Lara grinsend zu. „Warten wir's ab", sagte die Wirtin. „Dieses Angebot ist die eine Sache; ob de Moleon es jedoch annimmt, die andere."
„Sie muß es, wenn sie nicht zulassen will, daß wir verdursten", gab Jedder sich zuversichtlich. Zum erstenmal seit Tagen hatte er ein gutes Gefühl.
*
Gia de Moleon konnte nicht anders, als das Angebot der Thorrimer anzunehmen. Die Schäden an der Wasseraufbereitungsanlage hatten sich als schwerer erwiesen, als die TLD-Chefin geglaubt hatte. Sie waren nicht innerhalb weniger Tage zu reparieren. Es ging nicht darum, gesprengte Rohre und Becken zu ersetzen, sondern um ein hochkompliziertes biologisches System.
Also ließ sie die Thorrimer kommen, um die Trinkwasserreservoire ihrer Stadt aufzufüllen.
Die beschaffbaren Mengen reichten gerade dazu aus, um den Mindestbedarf der Bevölkerung zu decken. Niemand durfte verschwenderisch damit umgehen.
Stendal Navajo bedankte sich persönlich und in einer Trivideo-Ansprache bei den Nachbarn. Er wirkte nicht wie ein Triumphator. Er blieb der ruhige, bescheidene Mann, der den sachlichen Auftritt liebte. Navajo beschränkte sich auf das Nötigste und überließ die Sendezeit seiner großen Rivalin, die der Bevölkerung nun zu erklären hatte, daß ihre früheren Äußerungen falsch interpretiert worden und nie so gemeint gewesen seien.
Doch ihre Popularitätskurve sank, daran konnte auch Gia de Moleons Parteinahme nichts ändern.
Zwei Tage später machte Jedder Colusha sein Versprechen wahr und begab sich mit den Kindern an die Grenze, um Mastos und Chmaanz abzuholen. Mit ihnen kamen drei weitere kleine Thorrimer, und Jedder fuhr mit ihnen per Rohrbahn zu seinem Zuhause.
Darne hatte damit gedroht, für einen Tag zu verschwinden, falls Jedder das Angedrohte wahr machte; dann war sie doch nicht gegangen. Als sie aber die Thorrimer-Kinder sah und von ihnen mit Blumen begrüßt wurde, schmolz ihr Widerstand bald dahin wie Schnee in der Sonne. „Warum hast du mir nicht früher erzählt, was für niedliche kleine Bälger das sind?" brach sie sogar ihr Schweigen ihrem Mann gegenüber. „Ich hätte doch nie etwas gegen sie gehabt."
„Ich ... wollte dich überraschen", sagte Jedder diplomatisch. „Ich wußte die ganze Zeit, daß du sie mögen würdest."
An diesem Abend lehnte sie sich zum erstenmal seit langem wieder an ihn und ließ sich sogar von ihm die Füße kraulen. Ein besseres Zeichen der Versöhnung konnte es nicht geben. „Ich denke noch einmal darüber nach, wem ich meine Stimme geben werde", versprach sie. „Wann müssen die kleinen Thorrimer wieder bei ihren Eltern sein?"
„Ich habe ihnen gesagt, daß sie bis morgen bleiben dürfen."
„Das ist gut", meinte Darne. „Jetzt kommen sie mir gar nicht mehr fremd vor."
„Ich wollte, jede alashansche Familie hätte Thorrimer zu Besuch", seufzte Jedder. „Dann gäbe es keine Grenzen zwischen unseren Völkern mehr."
„Sagt das dein Stendal Navajo?"
„Nein", stellte Jedder klar. „Das sage ich."
6.
1. Februar 1290 NGZ
Die Entscheidung Es war der Tag, an dem über das künftige Schicksal des Stadtteils entschieden wurde.
Nachdem alle Splittergruppen vernachlässigt werden konnten, standen sich letztlich Clodia Zuint und Stendal Navajo als Rivalen um die Gunst der Bevölkerung gegenüber. Letzte Prognosen sagten ein Kopfan-Kopf-Rennen voraus.
An diesem Tag gab es keine öffentlichen Ansprachen mehr. Zweihunderttausend Menschen wählten von ihrem Zuhause aus per Syntronanschluß ihren Kandidaten. Um zwölf Uhr mittags stand das Ergebnis fest.
Und es lautete: 55 zu 45 Prozent für Stendal Navajo!
Gia de Moleon nahm es in ihrem Büro zur Kenntnis. Alaska Saedelaere saß bei ihr. Er sah die versteinerte Miene der TLD-Chefin, stand auf und holte ihnen beiden etwas Alkoholisches zum Trinken. „Du wirst es überleben, Gia", versuchte er sie wiederaufzurichten. „Letztlich war es eine kleine Gruppe von Reaktionären, die diese Wahl entschieden. Aber ich müßte lügen, wenn ich ihnen nicht dankbar wäre: Ich halte Stendal Navajo nach wie vor für einen fähigen und integren Mann, in dessen Händen die Geschicke der Alashaner gut aufgehoben sind."
„Er ist ein gottverdammter Narr!" entgegnete de Moleon. „Wenn du damit meinst, daß er auf das Zusammenleben mit den Thorrimern setzt, dann nenne ihn einen Narren - es
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