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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Stoffers
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1. KAPITEL Ankunft
    I n den frühen Morgenstunden des ersten frostig klaren Oktobertages 1907 kam Jane Swain nach einem Monat der Rastlosigkeit endlich am Ziel ihrer Reise an. Sie wurde nicht erwartet und konnte kaum darauf hoffen, willkommen zu sein, doch dieses Dilemma war ihr längst wohlvertraut. Jane neigte dazu, es auszugleichen, indem sie das gesellschaftliche Protokoll nach bestem Wissen ignorierte und die Etikette durch Willensstärke ersetzte. Diese Haltung hatte sie erfolgreich bis auf eine einsame Landstraße gebracht, die sich vor ihr eine Anhöhe hinaufwand auf das schmiedeeiserne Tor eines herrschaftlichen Anwesens zu.
    Der Weg lag im blassblauen Dämmerlicht der schwindenden Nacht vor ihr, doch das gewaltige Eisentor hob sich bereits schwarz von dem heller werdenden Himmel ab. Seine Spitzen überragten die Mauer zu beiden Seiten wie Fingerzeige zum Firmament. Das Anwesen, das sich dahinter erstreckte, entzog sich noch Janes Blicken. In den Sträuchern am Straßenrand erklang das erste zaghafte Tirilieren der Vögel. Es verstummte prompt wieder, als das Mädchen vorübereilte. Sonst war kein Laut zu vernehmen. Die Kälte der Nacht drang ihr beim Gehen bis unter die Kleider, und Jane schritt schneller aus, um der kühlen Witterung zu entkommen.
    Es war ein weiter Weg aus dem Dorf bis auf die einsame Anhöhe hinauf gewesen, und als sie aufgebrochen war, hatten außer ihr noch alle anderen Bewohner des Gasthofes geschlafen. Doch sie hatte es nicht länger unter dem schweren Federbett ausgehalten. Die ganze Nacht hindurch hatte sie sich von einer Seite auf die andere gewälzt und das Kopfkissen in immer neuen Variationen zerknautscht. Die durchgelegene Matratze war ihr zu weich gewesen, die Decke zu warm, das kleine Zimmer zu stickig. Sobald sie die Augen schloss, waren ihre Gedanken in einem fort um das Ziel ihrer Reise gekreist, das jetzt in greifbarer Nähe lag. Jede Befürchtung, jede Mutmaßung zum Verlauf des nahenden Tages hatte sie mehrmals angestellt, denn seine Bedeutung stand ganz außer Frage. Es hing nicht weniger als ihre gesamte Zukunft davon ab.
    Selbstredend rechnete Jane mit einem Scheitern. Sie hatte einige großartige Pläne für den Fall entworfen, dass sie abgewiesen werden würde. Sie würde in einem Museum in London eine Stelle finden! Oder sich als Zeichnerin bei einer Expedition verdingen. Vielleicht würde sie sich einem Entdecker anschließen, der gerade auf dem Weg nach Südamerika war! Jane hatte schon seit ihrer Kindheit davon geträumt, einmal auf Humboldts Spuren zu wandeln. Doch selbst ohne das Licht zu entzünden, versunken in ihren nächtlichen Gedankenspinnereien, wusste Jane, dass kein Wissenschaftler ein sechzehnjähriges Mädchen ohne Reputation und Ausbildung anstellen würde. Streng genommen würde ein solcher Gentleman auch in so fortschrittlichen Zeiten wie diesen niemals auch nur eine weibliche Assistentin an seiner Seite dulden. Alles, was ihr im Augenblick blieb, war ein zerknitterter Brief, der zuunterst in ihrer Reisetasche lag, und eine vage Hoffnung, die sie bis in dieses bedeutungslose englische Dorf vor den Toren von Wainwood House geführt hatte.
    Endlich hatte Jane um nichts in der Welt auch nur eine Minute länger in der Dunkelheit ausharren können. Sie hatte die Gaslampe neben ihrem Bett aufgedreht und eine Flamme unter der bauchigen Glashaube entzündet. Anstatt das einzige Dienstmädchen des Gasthofes wach zu klingeln, um nach einer Kanne frischen warmen Wassers zu verlangen, hatte sie das kalte Waschwasser vom letzten Abend noch einmal benutzt. Sie hatte in ihrer Reisetasche vergeblich nach sauberen Strümpfen gesucht, ungeduldig mit ihren Unterröcken gerungen und das Korsett gleich ganz weggelassen. Es war praktisch unmöglich, die unzähligen Haken und Ösen am Rücken ohne fremde Hilfe zu schließen. Und so lange es niemanden mehr gab, der Wert darauf legte, dass sie sich diesen Harnisch aus Knochenstäben und Leinen umschnürte, würde sie ganz auf ihn verzichten.
    In einem schwarzen Kleid und ohne Hut war sie schließlich aufgebrochen. Das Zimmer war bereits bezahlt worden, und niemand bemerkte sie, als sie die Treppe hinabschlich. Sie hatte die Vordertür verschlossen vorgefunden und war deshalb durch den Hinterausgang hinausgetreten. Erst als sie auf dem Dorfplatz stand, hatte sie endlich wieder frei atmen können. Der Weg war leicht zu finden gewesen. Die einzige Landstraße führte in die eine Richtung zum Bahnhof, in die andere hinaus

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