194 - Die Hölle der Erkenntnis
waren aufgestanden, antworteten auf einzelne Sätze des Greises mit zustimmenden Rufen und schüttelten die Fäuste dabei. Matthew Drax und Rulfan von Salisbury blickten nervös nach allen Seiten.
Gauko’on schien kein Ende zu finden – mit krächzender, sich immer häufiger überschlagender Stimme stieß er Verwünschungen des schrecklichen Feindes und Warnungen vor ihm aus und steigerte sich dabei nach und nach zur Raserei.
Und seine Zuhörer begannen ebenfalls zu toben. Matt wurde es angst und bange.
Doch plötzlich verstummte der Greis von einem Augenblick auf den anderen. Er hob beide Arme, schloss die Augen und neigte den Kopf auf die knochige Schulter. Sekundenlang verharrte er schweigend. Ein Zittern lief durch seine dürre Gestalt. Augenblicklich herrschte Ruhe in der gesamten Senke.
Die Menge hielt den Atem an.
»Jetzt«, krächzte Gauko’on. »Jetzt ist er endgültig erwacht…« Immer mehr Menschen erhoben sich. Unzählige Gesichter staunten den Uralten an.
»Er ist erwacht, endgültig erwacht…« Der Greis schrie nicht mehr, sondern sprach scheinbar in Gedanken versunken vor sich hin, und nur die Telepathen in den vorderen Reihen verstanden seine Worte. Die Leute hinter ihnen bedrängten sie mit Fragen. Getuschel erhob sich wieder.
»Wen zum Teufel meint er?«, fragte Rulfan. »Die Daa’muren können es nicht sein, und auch der Sol…«
Er verstummte, als sich Matthews Hand in seinen Oberarm krallte. Als er den Freund ansah, erschrak er: Alles Blut war Matt Drax aus dem Gesicht gewichen. Fassungslos blickte er hinauf zu dem Schamanen.
»Was ist los mit dir?« Rulfan zog besorgt die Augenbrauen zusammen. »Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
»Er spricht vom Wandler«, murmelte Matt. Die Erkenntnis zog ihm beinahe die Beine unter dem Körper weg, und er musste Halt an Rulfan suchen. »Verstehst du? Der Wandler ist weder ein Komet, noch eine Raumarche. Er ist ein Wesen, ein denkendes Wesen… !«
»Das ist doch unmöglich. Wie soll ein acht Kilometer durchmessender Felsen…«
»Es ist aber so, hör doch zu«, unterbrach ihn Matt.
Die Menschen um sie herum wiederholten die Worte des greisen Schamanen und versuchten sich gegenseitig dabei zu übertönen. »Der Feind ist erwacht! Der Tag der Schlacht steht kurz bevor…!«
***
Er erwachte mit einem Lachen, als die letzten Bilder eines guten Traumes durch seine Aura perlten.
Er hatte geschlafen; wie lange, das konnte er so kurz nach dem Aufwachen noch nicht ermessen. Kurz orientierte er sich, und im ersten Moment war es wie immer: Er sah, er hörte und tastete durch ihre Augen, Ohren und Haut. Also hatte sich nichts geändert? Nur ein kurzer Schlaf, mehr nicht?
Dass etwas anders war, erkannte er im nächsten Augenblick.
Seine Geschöpfe waren in Aufruhr! Und ihre Augen, Ohren und Haut hatten auch nichts mehr mit dem gemein, an das er sich auf Daa’mur über viele Jahrtausende gewöhnt hatte.
Damit kam die Erinnerung an den Aufbruch. Ja, sie hatten Daa’mur verlassen müssen. Das Doppelgestirn, das dem Planeten eine glutflüssige Oberfläche garantiert hatte, war langsam erkaltet, war eingesogen worden von einem Schwarzen Loch. Richtig: Und dies war auch der Grund gewesen, die Wesen zu erschaffen, durch die er sah, hörte und tastete.
Damals hatten sie andere Körper besessen, perfekt an ihre Umwelt angepasst: schlanke, stromlinienförmige Leiber mit Flossen und Armen und einem sensorischen Wahrnehmungsorgan auf der von Panzerplatten geschützten Stirn. Aber diese Körper hatten sie aufgeben müssen für die äonenlange Reise in eine andere Galaxie.
Nun sahen sie durch Augen. Er benötigte eine Weile, um sich auf die optischen Rezeptoren einzustellen, und als es ihm gelungen war, sah er ihre jetzige Erscheinungsform durch Zehntausende geschlitzte Pupillen.
Die neuen Körper machten einen brauchbaren Eindruck.
Einige konnten sich sogar in die Lüfte erheben; polymorphe Körper, wie es schien, mit der Glut Daa’murs unter der flexiblen Oberfläche.
Daa’mur… Er erinnerte sich daran, wie er und die anderen Sechs vor ewigen Zeiten dort angekommen waren. Der Planet war gebirgig an den Polen gewesen, Ozeane aus flüssigem Magma bedeckten ihn zum großen Teil. Dort hinein waren sie abgetaucht: eine perfekte Welt, in der sie Jahrmillionen gelebt und ihre energetische Nahrung im Überfluss bezogen und von der aus sie das Universum beobachtet hatten, um seine Geheimnisse zu diskutieren.
Dann, eines Jahrtausends, kam
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