1969 - Grausame Götter
um die Farbquelle zu halten. Er zwinkerte, obwohl er gar nicht mit Bestimmtheit sagen konnte, ob er überhaupt einen Körper besaß. Aber er konnte denken, dass er zwinkerte. Und mit den gedachten Augenlidbewegungen erschien der Farbtupfer erneut und tanzte im Rhythmus des imaginären Liderklimperns. Die Farbquelle wurde stärker, war zwar verschwommen, aber: Was soll's? Hauptsache, da sind Licht und Farben -- und ich kann sie sehen. Also bin ich nicht ganz verloren.
Es war zuerst nur eine einzelne Farbquelle. Dann kamen weitere hinzu. Vince hatte das alles schon so ähnlich erlebt. Die Sache war also nicht neu für ihn, aber immer wieder faszinierend und berührend. Ergriffen sah er dem Spiel der Farben zu, fühlte sich dabei wohlig müde werden. Er wusste woher die Müdigkeit kam. Er hatte es schon lange gewusst. Schon seit er beim Sonnentresor angekommen war. Es war der Sonnentresor, der ihm seine Kräfte entzog. Oder irgendetwas, das mit dem Sonnentresor zu tun hatte. Er wusste, dass dieses Etwas ihn aussaugte - und dennoch konnte er seiner Faszination nicht widerstehen. Es übte, vermutlich durch seine Lockfarben, eine magische Anziehungskraft auf ihn aus.
Vincent Garron war diesem Etwas schon sehr nahe gewesen, näher als jetzt, in diesem Moment. Und doch hatte er keine Ahnung, worum es sich dabei handelte. Aber er würde es erfahren. Und wenn es ihn den Rest seiner Lebenskraft kostete. Plötzlich waren die Farben wieder weg. Gleichzeitig machte sich der andere in ihm bemerkbar. Für Vincent war auf einmal klar, dass der andere es war, der die Farben vertrieben hatte. Wer bist du? wollte er von der fremden Persönlichkeit wissen. Erdachte an Quotor. Dr. Mangana hatte erklärt, es sei nicht ganz auszuschließen, dass die Quotor-Persönlichkeit noch immer in ihm schlummere. Aber der andere sagte: Ich bin Soboth. Dein Retter. Du darfst dich von diesen gierigen Farben nicht aufsaugen lassen. Aber genau das wollte Vincent: in die Welt der Farben eingehen. Nur gab es für ihn ein Problem. Solange Soboth wach war, traten die Farben nicht in Erscheinung.
1.
Sein Körper wurde immer schwerer. Ein ungeheures Gewicht lastete auf seinem Brustkorb. Er fühlte sich, als würde es ihm das Gehirn im Unterleib zusammenpressen. Sein Gesicht schien wie Brei nach unten zu fließen. Es quetschte ihm die Augen förmlich in die Höhlen, wie weit er sie auch aufzureißen versuchte. Sein Kopf war an die Rückenlehne geschnallt, sonst würde der Andruck ihn nach unten drücken und ihm womöglich das Genick brechen. Die Anzeigen der Instrumente vollführten vor seinen Augen einen verrückten Tanz, zuckten auf und ab, sprangen so rasend hin und her dass er sie mehrfach sah. Und das alles wurde untermalt vom Brüllen der Triebwerke.
Die gesamte Rakete war von einem gnadenlosen Rütteln erfasst, während sie gegen die Barriere ankämpfte, die die Götter um den Planeten gespannt hatten. Als wollten sie die Sterblichen ermahnen: Bis hierher und nicht weiter! Würden die Götter das zerbrechliche Werk ihrer Untertanen zermalmen? Nymene, lass es nicht geschehen! Lass uns diesen Schritt tun und gewähre uns einen Blick in die Welt der Sterne.
Und die Rakete hielt, kämpfte weiter tapfer gegen die unsichtbare Mauer der Gravitation an. Der Schmerz in seinem gequälten Körper war übermächtig geworden. Er fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren. Darum schrie er mit aufgesperrtem Mund, es war so laut, dass er sogar die Triebwerke übertönte und die Taubheit seiner Ohren durchbrach. Er klammerte sich seit dem Start an sein Liandos. Hielt es mit jeder Hand an einem der drei Enden fest, um Kraft aus seiner Gebetsschnur zu schöpfen. Er hätte es gar nicht loslassen können, denn die auf die Armlehnen gepressten Hände hatten sich im Krampf darum geschlossen.
Sie hatten ihn vor dem Start ausgiebig in Elcoxol gebadet. Das hatte ihm die Kraft gegeben, diese unglaublichen Belastungen zu überleben.
Gleichzeitig hatte ihn das Elcoxol sensibel für Botschaften der Götter gemacht. Doch diese zeigten sich nicht. Der Schmerz hatte alle Empfänglichkeit in ihm abgetötet. Und dann war es vorbei. Die Triebwerke verstummten, sein Schrei verklang. Die Last seines mehrfachen Körpergewichts verpuffte.
Er fühlte sich auf einmal so leicht, dass er meinte, schweben zu können.
Er hatte die Anziehungskraft seines Heimatplaneten überwunden. Er hatte sich erfolgreich gegen die Kraft der Götter gestemmt, mit der sie ihn auf Tazolar
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