1984 (Kurt Wagenseil: Übers.)
kein Wort für schneiden, da seine Bedeutung schon hinreichend durch das Hauptwort Messer gedeckt war.
Eigenschaftsworte wurden gebildet, indem man dem Hauptwort die Nachsilbe -voll , Umstandsworte, indem man -weise anhängte.
Jedes Wort konnte durch Voranstellung von un- in sein Gegenteil umgewandelt oder durch die Voranstellung von plus- oder von doppelplus- gesteigert werden. So bedeutete beispielsweise unkalt »warm«, während pluskalt oder doppelpluskalt »sehr kalt« oder »überaus kalt« bedeuteten. Auch war es möglich, die Bedeutung fast jeden Wortes durch die Voranstellung von vor- , nach- , ober- , unter- usw. abzuwandeln. Diese Methode ermöglichte es, den Wortschatz ganz gewaltig zu vermindern.
Das zweite hervorstechende Merkmal der Neusprach-Grammatik war ihre Regelmäßigkeit. Abgesehen von einigen nachfolgend erwähnten Ausnahmen folgten alle Beugungen derselben Regel. Bei allen Zeitwörtern waren das Imperfektum und das Partizip der Vergangenheit identisch und endeten auf -te . Das Imperfektum von stehlen war stehlte , von denken denkte usw., während alle Formen wie dachte , schwamm , brachte , sprach , nahm abgeschafft waren.
Die einzigen Wortarten, die weiterhin unregelmäßig gebeugt werden durften, waren die Fürwörter und die Hilfszeitworte. Ein Wort, das schwer auszusprechen oder leicht mißzuverstehen war, galt eo ipso als etwas Schlechtes: deshalb wurden gelegentlich um des Wohlklangs willen Buchstaben in ein Wort eingeschoben oder veraltete Formen beibehalten. Aber diese Notwendigkeit machte sich vor allem in Zusammenhang mit Wortschatz B bemerkbar.
Der Wortschatz B bestand aus Worten, die absichtlich zu politischen Zwecken gebildet worden waren, d. h. die nicht nur in jedem Fall auf einen politischen Sinn abzielten, sondern dazu bestimmt waren, den Benutzer in die gewünschte Geistesverfassung zu versetzen. Ohne ein eingehendes Vertrautsein mit den Prinzipien des Engsoz war es schwierig, diese Worte richtig zu gebrauchen. In manchen Fällen konnte man sie in die Altsprache oder sogar in Worte aus dem Wortschatz A übersetzen, aber dazu war gewöhnlich eine lange Umschreibung notwendig, und unweigerlich gingen dabei gewisse Schattierungen verloren. Die B-Worte waren eine Art Stenographie, mit der man oft eine ganze Gedankenreihe in ein paar Silben zusammenfassen konnte. Ihre Formulierungen waren genauer und zwingender als die gewöhnliche Sprache.
Die B-Worte waren immer zusammengesetzt. Sie bestanden aus zwei oder mehr Worten oder Wortteilen, die zu einer leicht aussprechbaren Form zusammengezogen waren. Die erzielte Verschmelzung war zunächst immer ein Hauptwort, von dem dann in der üblichen Weise weitere Worte abgeleitet wurden.
Beispiel: das Wort Gutdenk bedeutete gemeinhin »orthodoxe Haltung, Strenggläubigkeit«, als Zeitwort »in orthodoxer Weise denken« (Vergangenheit gutdenkte ); als Eigenschaftswort gutdenkvoll ; als Umstandswort gutdenkweise ; als aktives Hauptwort Gutdenker.
Der Stamm der B-Worte konnte Bestandteilen jeder Wortart angehören, die in jeder Reihenfolge angeordnet und beliebig verstümmelt werden konnten, um ein leicht aussprechbares neues Wort zu bilden.
In dem Worte Undenk (Verstoß gegen die Parteidisziplin) z. B. stand denken an zweiter Stelle, während es in Denkpoli (Gedankenpolizei) auf die erste Stelle kam, wobei das Wort Polizei seine dritte Silbe einbüßte.
Manche B-Worte hatten eine höchst differenzierte Bedeutung, die jemandem, der nicht mit der Sprache im ganzen vertraut war, kaum verständlich wurde. Als Beispiel diene ein typischer Satz aus dem Times -
Leitartikel: Altdenker unintusfühl Engsoz. Die kürzeste Wiedergabe, die davon in der Altsprache möglich gewesen wäre, hätte lauten müssen: »Diejenigen, deren Weltanschauung sich vor der Revolution geformt hat, können die Prinzipien des neuen englischen Sozialismus nicht wirklich von innen heraus verstehen.«
Aber das ist keine ausreichende Übersetzung. Man müßte eigentlich, um die volle Bedeutung des oben angeführten Neusprachsatzes zu verstehen, erst eine genaue Vorstellung von dem haben, was mit Engsoz gemeint war. Dazu kommt, daß nur ein völlig im Engsoz aufgegangener Mensch die ganze Kraft des Wortes intusfühl nachzuempfinden vermag, das eine blinde, begeisterte Hingabe bezeichnete, die man sich nur schwer vorstellen kann, desgleichen das Wort Altdenk, das untrennbar mit der Vorstellung von
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