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1Q84: Buch 1&2

Titel: 1Q84: Buch 1&2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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lässt sie jedoch zurück und flieht allein aus der Gemeinschaft. Aber was sich wohl in Tengos Puppe aus Luft befand (Tengo nahm intuitiv an, dass es sich um seine Puppe aus Luft handelte)? Etwas Gutes? Oder etwas Böses? Etwas, das ihn irgendwohin führen oder Schaden von ihm abwenden würde? Und wer hatte diese Puppe aus Luft überhaupt hierhergebracht?
    Tengo wusste genau, dass er handeln musste. Aber er brachte einfach nicht den Mut auf, aufzustehen und nachzuschauen, was sich innerhalb der Puppe befand. Er fürchtete sich. Vielleicht würde das, was sich darin verpuppt hatte, ihn verletzen. Vielleicht eine große Veränderung in seinem Leben herbeiführen. Tengo war wie erstarrt. Er fühlte sich wie ein Mensch, dem jede Zuflucht abhandengekommen war. Es war die gleiche Art von Furcht, die ihn daran gehindert hatte, im Familienregister nach seiner Mutter zu forschen und nach Aomame zu suchen. Er wollte nicht wissen , was die Puppe enthielt, die man hier für ihn deponiert hatte. Davonzukommen, ohne etwas zu erfahren, wäre ihm sehr recht gewesen. Am liebsten hätte er auf der Stelle das Zimmer verlassen und wäre sofort in den Zug gestiegen und nach Tokio zurückgefahren. Hätte die Augen geschlossen, sich die Ohren verstopft und wäre in seine kleine bescheidene Welt geflüchtet.
    Aber Tengo wusste, dass er das nicht konnte. Wenn ich jetzt gehe, dachte er, ohne gesehen zu haben, was in dem Ding ist, werde ich es zweifellos mein ganzes Leben lang bereuen. Sollte ich jetzt die Augen vor diesem Etwas verschließen, werde ich mir das wohl niemals verzeihen.
    Lange blieb Tengo ratlos und unentschlossen auf dem Hocker sitzen. Er konnte weder vor noch zurück. Die Hände im Schoß gefaltet, starrte er auf das Bett mit der Puppe. Mitunter warf er einen Blick zum Fenster, als könne er durch es hindurch entfliehen. Die Sonne war nun untergegangen, und die leichte Dämmerung hüllte das Kiefernwäldchen langsam ein. Noch immer war es windstill. Auch die Wellen rauschten nicht. Es herrschte eine wundersame Stille. Mit zunehmender Dunkelheit wurde das Licht, das das weiße Gespinst aussandte, intensiver und lebhafter. Tengo spürte, dass die Puppe ein Eigenleben hatte. Sie verströmte das heitere Leuchten des Lebens. Sie hatte eine eigentümliche Wärme und einen feinen Klang.
    Endlich fasste sich Tengo ein Herz, verließ den Hocker und beugte sich über das Bett. Er konnte nicht länger fliehen. Er konnte nicht leben, indem er die Augen vor diesem Gegenstand verschloss wie ein verängstigtes Kind. Nur der Wille zur Wahrheit gab einem Menschen die nötige Kraft. Wie auch immer diese Wahrheit beschaffen war, er musste sie kennen.
    Der Spalt hatte sich nicht verändert, war weder größer noch kleiner geworden. Er spähte mit zusammengekniffenen Augen hinein, konnte aber nicht erkennen, ob sich im Inneren der Puppe etwas befand. Es war dunkel darin, und auf etwa halber Höhe spannte sich eine Art dünne Membran. Tengo atmete tief durch und vergewisserte sich, dass seine Finger nicht zitterten. Nun führte er sie in den etwa zwei Zentimeter breiten Spalt ein und zog ihn behutsam nach rechts und links auseinander, als würde er eine Tür mit zwei Flügeln öffnen. Er ließ sich widerstands- und geräuschlos weiten. Als habe er nur auf Tengos Hände gewartet.
    Das weiche schneeige Licht der Puppe aus Luft beleuchtete weich das Innere. Obwohl es nicht sehr hell war, vermochte Tengo die Gestalt darin zu erkennen.
    Er sah ein schönes zehnjähriges Mädchen.
    Das Mädchen schlief. Es trug ein schlichtes weißes Kleid, das wie ein Nachthemd aussah. Die kleinen Hände lagen übereinander auf der flachen Brust. Tengo wusste auf den ersten Blick, wer es war. Das schmale Gesicht, die geraden, wie mit dem Lineal gezogenen Lippen. Die wohlgeformte glatte Stirn, die ein gerader Pony bedeckte. Die kleine Nase, die wie suchend leicht nach oben zeigte. Die seitlich hervorstehenden Wangenknochen. Die Lider waren geschlossen, aber Tengo wusste genau, wie die Augen dahinter aussahen. Wie auch nicht? Er hatte die letzten zwanzig Jahre seines Lebens mit der Erinnerung an sie verbracht.
    Aomame, rief er. Sie lag in festem Schlaf. Er schien endlos tief und natürlich zu sein. Sie atmete nur ganz sacht. Ihr Herzschlag war so schwach, dass kein menschliches Ohr ihn vernehmen konnte. Sie hatte nicht einmal die Kraft, die Lider aufzuschlagen. Ihre Zeit war noch nicht gekommen. Ihr Bewusstsein weilte in weiter Ferne. Doch dann versetzte Tengos Ausruf ihr

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