1Q84: Buch 1&2
jemand aus, der »grüne Erbse« hieß?
Manche nannten sie auch versehentlich Edamame – »grüne Sojabohne« – oder Soramame – »Saubohne«! »Äh, nein, nicht Edamame (oder Soramame) – Aomame. Aber das ist ja ganz ähnlich«, berichtigte sie dann, und ihr Gegenüber entschuldigte sich verlegen lächelnd. »Oh, das ist aber ein seltener Name.« Wie oft hatte sie diese Worte in den dreißig Jahren ihres Lebens wohl schon zu hören bekommen? Wie viele öde Witze über ihren Namen?
Wäre ich nicht mit diesem Namen auf die Welt gekommen, dachte sie oft, hätte mein Leben vielleicht einen ganz anderen Verlauf genommen. Mit einem Allerweltsnamen wie Sato, Tanaka oder Suzuki würde ich vielleicht ein entspannteres Leben führen und die Welt mit milderen Augen sehen. Wahrscheinlich.
Aomame hielt die Augen geschlossen und lauschte der Musik. Sie ließ die wunderbare Klangfülle, die das Unisono der Bläser erzeugte, auf sich wirken. Plötzlich fiel ihr etwas auf. Eigentlich war die Tonqualität für ein Autoradio zu gut. Selbst bei der geringen Lautstärke klang die Musik tief und voll, und auch die Obertöne waren sauber hörbar. Aomame öffnete die Lider und sah nach vorn, um die in das Armaturenbrett eingelassene Stereoanlage zu begutachten. Sie war tiefschwarz und schimmerte elegant und edel. Den Namen des Herstellers konnte sie nicht erkennen, aber es war unübersehbar, dass es sich um ein teures Gerät handelte, das mit zahlreichen Reglern und einer Digitalanzeige mit grünen Ziffern ausgestattet war. Offensichtlich ein erstklassiges Fabrikat. Für einen gewöhnlichen Taxifahrer mit Lizenz war die Anlage eigentlich zu anspruchsvoll.
Aomame blickte sich noch einmal im Inneren des Wagens um. Es war ihr nicht aufgefallen, da sie ihren Gedanken nachgehangen hatte, seit sie in das Taxi gestiegen war, aber bei genauerem Hinsehen wurde ihr klar, dass es sich nicht um ein gewöhnliches Taxi handelte. Die Qualität der Ausstattung war hervorragend, die Sitze außerordentlich bequem, und besonders angenehm war die Ruhe, die sie umfing. Der Wagen schien über eine Lärmdämmung zu verfügen, sodass vom Krach draußen kaum etwas ins Innere drang. Man wähnte sich in einem schallgedämpften Studio. Vielleicht war es ja ein Privattaxi. Unter den privaten Taxifahrern gab es einige, die hinsichtlich ihrer Wagen keine Kosten scheuten. Sie hielt nach einer Taxinummer Ausschau, konnte aber keine entdecken. Andererseits sah der Wagen auch nicht nach einem illegalen Taxi aus. Er besaß einen regulären Taxameter, der vorschriftsmäßig vorrückte und inzwischen einen Fahrpreis von 2150 Yen anzeigte. Dennoch gab es nirgends ein Schild mit dem Namen des Fahrers.
»Ein schöner Wagen. Sehr leise«, sagte Aomame, an den Rücken des Fahrers gewandt. »Was ist das für eine Marke?«
»Ein Toyota Crown Royal Saloon«, erwiderte der Fahrer knapp.
»Die Musik klingt gut.«
»Es ist ein ruhiger Wagen. Auch aus diesem Grund habe ich ihn gewählt. Weil Toyota, was diese Dämpfung angeht, über die weltweit führende Technik verfügt.«
Aomame nickte und ließ sich wieder in den Sitz sinken. Seine Art zu sprechen hatte etwas Anziehendes. Als lasse er immer etwas Wichtiges ungesagt. Zum Beispiel: Zwar gibt es an der Schalldämpfung von Toyota nichts auszusetzen, aber bei irgendetwas anderem gibt es Probleme, oder so. Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, blieb ein kleines bedeutungsschweres Schweigen zurück. Leicht wie eine winzige imaginäre Wolke stand es im engen Raum des Wagens und gab Aomame ein unbestimmtes Gefühl der Unruhe.
»Wirklich ruhig«, sagte sie, um die kleine Wolke zu verscheuchen. »Auch Ihre Stereoanlage ist erstklassig.«
»Es war keine leichte Entscheidung«, sagte der Fahrer in einem Ton wie ein pensionierter Stabsoffizier, der von einer militärischen Operation in der Vergangenheit erzählt. »Aber da ich so viel Zeit im Wagen verbringe, wollte ich eine möglichst gute Tonqualität, und außerdem …«
Aomame wartete darauf, dass er fortfuhr. Aber er tat es nicht. Wieder schloss sie die Augen und überließ sich der Musik. Sie hatte keine Ahnung, was für ein Mensch Janáček gewesen war. Zumindest hatte er sich gewiss nicht träumen lassen, dass Menschen im Jahr 1984 im schallgedämpften Innenraum eines Toyota Crown Royal Saloon mitten in einem Stau auf der Tokioter Stadtautobahn seine Musik hören würden.
Aber warum habe ich das Stück sofort als die Sinfonietta von Janáček erkannt, fragte sich Aomame
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