1Q84: Buch 1&2
bequem und ohne besonderen Aufwand halten konnte), und in seiner Freizeit nahm er mit anderen Jungen aus seiner Mannschaft harte körperliche Arbeiten an, um sich etwas Geld zu verdienen. Er hatte so viele Verpflichtungen, dass er an manchen Tagen von morgens bis abends durch die Gegend hetzte. So gab es über seine Oberschulzeit eigentlich nichts zu erzählen, außer dass er unheimlich beschäftigt gewesen war. Es hatte sich nichts ungewöhnlich Erfreuliches zugetragen, und gute Freunde hatte er auch nicht gefunden. An der Schule gab es sehr viele Vorschriften, und so richtig warm konnte er damit nicht werden. Mit den anderen Mitgliedern seiner Judo-Mannschaft kam er einigermaßen gut zurecht, hatte aber im Grunde kaum etwas mit ihnen zu reden. Wenn Tengo ehrlich war, musste er zugeben, dass er bei keinem einzigen Judo-Turnier richtig mit Leib und Seele dabei war. Doch um seinen Lebensunterhalt zu sichern, musste er mit guten Ergebnissen aufwarten. Also trainierte er gewissenhaft, um seine Umgebung nicht zu enttäuschen. Judo war weniger ein Sport für ihn als ein praktisches Mittel zum Überleben. Man hätte es fast einen Beruf nennen können. Seine drei letzten Schuljahre waren von dem Wunsch beherrscht, möglichst bald fertig zu sein, um ein authentischeres Leben führen zu können.
Doch als er auf die Universität kam, lief sein Leben im Grunde genauso weiter. Denn wenn er weiter aktiv beim Judo blieb, konnte er in ein Wohnheim ziehen, das heißt, er brauchte sich um Kost und Logis (wenn auch auf niedrigem Niveau) nicht zu kümmern. Er bekam zwar ein Stipendium, von dem allein konnte er jedoch nicht leben. Also musste er Judoka bleiben. Natürlich studierte er Mathematik. Da er fleißig lernte, hatte er auch an der Universität gute Noten, und man empfahl ihm ein Doktorandenstudium. Aber in seinem dritten oder vierten Studienjahr ging Tengo plötzlich die Begeisterung für die Mathematik als Wissenschaft verloren. An sich machte Mathematik ihm noch immer Spaß, aber sich mit mathematischer Forschung zu beschäftigen befriedigte ihn nicht. Es war wie mit dem Judo. Er war gern Amateur, hatte aber weder Neigung noch Verlangen, sein ganzes Leben damit zu verbringen. Das war ihm selbst bewusst.
Als sein Interesse an der Mathematik nachließ und sein Examen bevorstand und es damit auch keinen Grund mehr gab, sich weiter mit Judo zu beschäftigen, hatte Tengo nicht die geringste Ahnung, welchen Weg er nun einschlagen sollte. Seinem Leben schien ein Mittelpunkt zu fehlen. Es hatte zwar ursprünglich auch keinen gehabt, aber bisher war immer etwas von ihm erwartet und verlangt worden. Dadurch war sein Leben ausgefüllt und geschäftig gewesen. Aber nachdem all diese Forderungen und Erwartungen plötzlich wegfielen, blieb nichts übrig, das der Rede wert gewesen wäre. Tengo hatte kein Ziel im Leben. Und keinen einzigen Freund. Er blieb in einer Art Flaute stecken und konnte sich auf nichts mehr richtig konzentrieren.
Während des Studiums hatte er mehrere Freundinnen gehabt und auch sexuelle Erfahrungen gemacht. Tengo war nicht im landläufigen Sinne gutaussehend und weder besonders gesellig noch ein besonders begabter Unterhalter. Er war stets knapp bei Kasse, und seine Kleidung konnte man auch nicht gerade als den letzten Schrei bezeichnen. Aber wie der Duft gewisser Pflanzen Bienen anlockt, fühlte sich eine bestimmte Art von Frauen zu ihm hingezogen. Und das sogar ziemlich stark.
Dies entdeckte er mit Anfang zwanzig (etwa um die gleiche Zeit, als er seine Begeisterung für die wissenschaftliche Mathematik verlor). Auch wenn er von sich aus nichts unternahm, suchten die Frauen, die dieses besondere Interesse an ihm hatten, seine Nähe. Sie sehnten sich danach, von seinen starken Armen umschlungen zu werden. Oder hatten zumindest nichts dagegen. Beim ersten Mal verstand er gar nicht, was vorging, und war ziemlich verwirrt. Aber bald hatte er sozusagen den Dreh raus und konnte seine Fähigkeiten nach Bedarf einsetzen. Seither hatte es Tengo nie an Frauenbekanntschaften gemangelt. Doch er verliebte sich nie von sich aus in eine der Frauen. Er pflegte Umgang mit ihnen und hatte körperliche Beziehungen zu ihnen. Mehr war es nie. Sie füllten lediglich ihre gegenseitige Leere aus. Es war weiß Gott seltsam, aber es geschah nicht ein einziges Mal, dass er sein Herz an eine der Frauen verlor, die sich so sehr zu ihm hingezogen fühlten.
All das erzählte Tengo seinem bewusstlosen Vater. Anfangs wählte er seine Worte
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