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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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wiederfinden, wenn sie einmal losließ. Wie eine von Meeresleuchten gefärbte Strömung glitt die nächtliche Stadt an ihnen vorüber.
     
    »Es gibt so vieles, was ich dir erzählen muss«, sagte Aomame nach einer langen Weile. »Ich glaube, ich schaffe es nicht, alles zu erzählen, bis wir dort sind. So viel Zeit haben wir nicht. Aber selbst wenn ich alle Zeit der Welt hätte, könnte ich dir nicht alles erzählen.«
    Tengo schüttelte kurz den Kopf. Es war nicht nötig, alles jetzt zu erzählen. Später konnten sie sich die Zeit nehmen, um nach und nach die Lücken zu füllen. Wenn es überhaupt Lücken gab, die gefüllt werden mussten. Aber im Augenblick erschienen Tengo jede Lücke und jedes unlösbare Rätsel unvorstellbar verlockend, solange er sie mit Aomame teilen durfte.
    »Gibt es etwas, dass ich unbedingt wissen sollte?«, fragte er.
    »Was weißt du denn über mich?«, fragte sie zurück.
    »Fast nichts«, erwiderte Tengo. »Außer, dass du Trainerin in einem Sportstudio und ledig bist. Und in Koenji wohnst.«
    »Ich weiß auch kaum etwas über dich«, sagte Aomame. »Nur, dass du an einer Yobiko in Yoyogi Mathematik unterrichtest und allein lebst. Und als Ghostwriter Die Puppe aus Luft bearbeitet hast.«
    Die Lippen vor Überraschung leicht geöffnet, sah Tengo Aomame ins Gesicht. Die Anzahl der Menschen, die das wussten, war äußerst begrenzt. Stand Aomame in irgendeiner Beziehung zu dieser Sekte?
    »Keine Sorge, wir sind auf der gleichen Seite«, sagte sie. »Es würde zu lange dauern, dir genau zu erklären, woher ich das weiß. Aber ich weiß, dass Eriko Fukada und du Die Puppe aus Luft gemeinsam verfasst habt. Und dass wir beide, du und ich, irgendwann hier in diese Welt mit den zwei Monden gelangt sind. Und noch etwas: Ich bekomme ein Kind. Und ich glaube, es ist von dir. Das sind im Augenblick die wichtigsten Dinge, die du wissen musst.«
    »Du bekommst ein Kind von mir?« Wahrscheinlich spitzte der Fahrer jetzt die Ohren, aber das war momentan Tengos geringste Sorge.
    »Wir haben uns zwanzig Jahre lang nicht gesehen«, sagte Aomame. »Trotzdem bin ich von dir schwanger und werde unser Kind zur Welt bringen. Ich weiß, das klingt, als sei ich nicht ganz bei Trost.«
    Tengo schwieg und wartete, dass sie weitersprach.
    »Erinnerst du dich an das schwere Unwetter Anfang September?«
    »Sehr gut sogar«, sagte Tengo. »Den ganzen Tag über war alles blau, und dann fing es gegen Abend plötzlich an zu donnern, und dieses Unwetter zog herauf. Die Station Akasaka-mitsuke stand unter Wasser, und der U-Bahn-Verkehr musste zeitweilig eingestellt werden.« Die Little People toben, hatte Fukaeri gesagt.
    »An dem Abend bin ich schwanger geworden«, sagte Aomame. »Obwohl ich weder an dem Tag noch mehrere Monate davor oder danach auf diese Weise mit jemandem zusammen war.«
    Sie vergewisserte sich mit einem Blick, dass Tengo diesen Umstand zur Kenntnis genommen hatte. Dann fuhr sie fort.
    »Es ist definitiv an dem Abend passiert. Und ich bin fest davon überzeugt, dass das Kind von dir ist. Ich kann es nicht erklären, ich weiß es nur einfach.«
    Tengo rief sich den sonderbaren Geschlechtsverkehr ins Gedächtnis, der an jenem Abend zwischen ihm und Fukaeri stattgefunden hatte. Draußen hatte es geblitzt und gekracht, und der Regen war gegen die Scheiben gepeitscht. Es seien die Little People, hatte Fukaeri gesagt. Tengo hatte wie gelähmt auf dem Bett gelegen. Fukaeri hatte sich rittlings auf ihn gesetzt, sich seinen steifen Penis eingeführt und seinen Samen herausgepresst. Sie schien sich in einem Zustand tiefer Trance zu befinden. Ihre Augen waren die ganze Zeit geschlossen, als sei sie in Meditation versunken. Ihre Brüste waren voll und rund, und sie hatte kein Schamhaar. Die ganze Szene hatte etwas Unwirkliches, und dennoch war alles wirklich so geschehen.
    Am nächsten Morgen verhielt Fukaeri sich, als würde sie sich nicht mehr erinnern, was am Abend zuvor geschehen war. Vielleicht zeigte sie es auch nur nicht. Tengo hatte den Eindruck, statt eines Geschlechtsakts eine Art Pflichtübung absolviert zu haben. Fukaeri hatte an jenem Gewitterabend Tengos bewegungslosen Körper benutzt, um seinen Samen buchstäblich bis zum letzten Tropfen aus ihm herauszumelken. Tengo erinnerte sich auch jetzt noch an das merkwürdige Gefühl. Fukaeri war ihm damals wie eine völlig andere Person erschienen.
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte Tengo heiser. »Ich selbst habe an dem Abend auch etwas erlebt, das ich

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