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1Q84: Buch 3

1Q84: Buch 3

Titel: 1Q84: Buch 3 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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bläulich weiß das Mondlicht. Aus Ushikawas Blickwinkel war kein Mond zu sehen. Daher konnte er auch nicht erkennen, ob es sich um zwei Monde oder nur einen handelte.
    In dem Raum befand sich keine Uhr. Seit der Kahle und der Pferdeschwanz aufgebrochen waren, mochte vielleicht eine Stunde vergangen sein. Wäre zufällig jemand im Raum gewesen, hätte er sich wahrscheinlich zu Tode erschreckt, denn Ushikawas Mund bewegte sich plötzlich. Der Anblick war so unheimlich, dass man vor Grauen den Verstand verlieren konnte. Natürlich war Ushikawa längst tot und befand sich zudem im Zustand der Leichenstarre. Dennoch bewegte sich sein Mund ruckartig und leicht zitternd, bis er gleich darauf mit einem trockenen Knacken aufklaffte.
    Der Zuschauer hätte vielleicht angenommen, Ushikawa schicke sich an, etwas zu sagen. Vielleicht etwas sehr Bedeutsames, das nur ein Toter zu wissen vermochte. Voller Entsetzen und mit angehaltenem Atem hätte er gewartet. Welches Geheimnis würde sich nun offenbaren?
    Doch es waren gar keine Laute, die aus Ushikawas weit geöffnetem Mund kamen. Es waren weder Worte noch Atemzüge, sondern sechs kleine Männer. Sie waren alle etwa fünf Zentimeter groß und trugen putzige kleine Kleider am Leib. Einer nach dem anderen wanderten sie über Ushikawas grün bemooste Zunge und kletterten über seine unreinlichen Zähne hinaus ins Freie. Wie ein Trupp Bergleute, die nach getaner Arbeit unter Tage auf die Erde zurückkehren. Allerdings waren ihre Kleidung und ihre Gesichter sehr sauber und kein bisschen geschwärzt. Sie hatten eindeutig nichts mit Schmutz und Armut zu tun.
    Die sechs Little People, die aus Ushikawas Mund kamen, sprangen auf die Konferenztische, auf denen die Leiche lag. Sie begannen sich zu schütteln und wurden nach und nach größer, denn die Little People konnten ihre Körpergröße nach Bedarf ändern. Dennoch wurden sie nie größer als einen Meter und nie kleiner als drei Zentimeter. Als sie eine Größe von etwa sechzig oder siebzig Zentimetern erreicht hatten, hörten sie auf, sich zu schütteln, und kletterten nacheinander auf den Boden. Ihre Gesichter waren ausdruckslos. Das heißt nicht, dass sie maskenhaft waren. Sie waren einfach nur ganz alltäglich. Abgesehen von ihrer Größe sahen die Little People aus wie du und ich. Sie fanden es nur einfach nicht nötig, eigens einen Gesichtsausdruck zu produzieren.
    Offenkundig hatten sie es weder besonders eilig, noch trödelten sie. Sie nahmen sich für die Arbeit, die sie zu erledigen hatten, genau die Zeit, die sie brauchten. Weder zu viel noch zu wenig. Ohne dass einer ein Zeichen gab, ließen sich die sechs in aller Ruhe in einem schönen, vollkommenen Kreis von etwa zwei Metern Durchmesser auf dem Fußboden nieder.
    Bald streckte einer wortlos den Arm in die Höhe und griff aus der Luft einen dünnen Faden. Der Faden war etwa fünfzehn Zentimeter lang, cremefarben, fast weiß, und halb durchsichtig. Er legte ihn auf den Boden. Auch der Nächste zog einen Faden von gleicher Länge und Farbe aus der Luft. Drei weitere taten es ihm nach. Nur der Letzte verhielt sich anders. Er stand auf, verließ den Kreis, kletterte wieder auf die Tische, griff nach Ushikawas missgestaltetem Kopf und riss ein dort sprießendes, welliges Haar aus. Zupf. Ein leises Geräusch ertönte. Er legte das Haar zu den Fäden. Mit geübten Fingern verwoben die Little People die fünf Fäden aus der Luft und das Haar von Ushikawas Kopf miteinander.
    Auf diese Weise fertigten die sechs Little People eine neue Puppe aus Luft an. Keiner von ihnen sprach ein Wort, keiner rief etwas dazwischen. Stumm zogen sie die Fäden aus der Luft, rupften Haare von Ushikawas Kopf und verspannen sie in einem regelmäßigen, fließenden Rhythmus zu einer Puppe aus Luft. Obwohl es so kalt in dem Zimmer war, war ihr Atem nicht zu sehen. Wäre jemand dort gewesen, hätte er sich gewiss darüber gewundert. Oder er wäre gar nicht dazu gekommen, weil es der erstaunlichen Dinge zu viele waren.
    So fleißig und unermüdlich die Little People auch arbeiteten (sie machten tatsächlich nie eine Pause), es gelang ihnen nicht, die Puppe aus Luft in einer Nacht fertigzustellen. Sie würden mindestens drei Tage brauchen. Aber die Little People erweckten nicht den Eindruck, es eilig zu haben. Es blieben ihnen noch zwei Tage, bis Ushikawas Leichenstarre nachließ und er verbrannt würde. Das wussten sie. Zwei Nächte würden genügen, um die Puppe zu vollenden. Sie hatten genau so viel Zeit,

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