20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
ein Strauch, den einer von uns streifte. Nicht nur meine Augen, sondern meine Ohren waren in angestrengter Tätigkeit; darum geschah es, daß ich plötzlich etwas hörte, was mir sonst gewiß entgangen wäre. Es konnte irgendein Naturlaut sein, aber es kam mir vor wie eine menschliche Stimme, welche, durch die Entfernung und das Gesträuch gedämpft, einen Ruf ausstößt.
„Pst, still, ich hörte etwas!“ gebot ich, indem ich mein Pferd anhielt.
Ja, da erklang es wieder, deutlich, hinter uns:
„Faryahd – Faryahd – – –!“
Dieses Wort ist der Hilferuf in persischer Sprache. Man weiß, daß der Mensch, selbst im fremden Land und wenn er sich der dortigen, fremden Sprache vollständig bedienen kann, im Augenblick der Überraschung, des Schreckens, der Gefahr den Schrei, den Ausruf, welchen er ausstößt, meist seiner Muttersprache entnimmt.
„Himmel! Wo ist Mr. Dschafar?“ fragte ich, denn ich sah ihn nicht.
„Fort – wieder zurückgeblieben“, antworteten die andern, und Perkins, welcher als der letzte ritt, fügte hinzu: „Ich glaubte, er sei eng hinter mir.“
„Der Unvorsichtige! Er befindet sich in Gefahr; er hat um Hilfe gerufen! Ich muß zurück, um ihm zu helfen.“
Ich wendete mein Pferd, um umzukehren.
„Und wir?“ fragte Jim Snuffle. „Was sollen wir tun? Etwa hier bleiben und warten?“
„Nein. Ich darf euch nicht hier lassen, denn ihr seid unvorsichtige Leute.“
„Oho!“
„Ja; ihr habt es bewiesen. Wir wissen nicht, wo die Roten stecken; sie können sich ganz in der Nähe, grad hier vor uns befinden. Kommt also mit.“
Wir ritten im schnellsten Tempo, welches die Büsche uns erlaubten, zurück, kamen aber doch zu spät. Als wir da anlangten, wo die Sträucher noch weit auseinander standen, sah ich an einer Stelle unserer Fährte den Boden zertreten, ja sogar von Pferdehufen aufgewühlt.
„Bis hierher ist Mr. Dschafar gekommen, und da hat ein Kampf stattgefunden“, sagte ich.
„Wetter!“ rief Jim Snuffle aus. „Sollte er überfallen worden sein?“
„Ja, denn er hat um Hilfe gerufen.“
„Von Roten?“
„Natürlich! Sonderbare Frage! Wer anders soll es gewesen sein!“
„Aber wie viele?“
„Es müssen mehrere gewesen sein.“
„Gewiß; denn einen hätte er von sich abwehren können. Suchen wir nach Spuren!“
„Das tue ich ja schon, wie ihr seht. Schaut, da geht eine Fährte rechts ab in die Büsche. Das sind die Spuren eines Pferdes und dreier Männer, welche Mokassins anhatten.“
„Also von dreien ist er angegriffen worden. Die haben ihn allerdings überwältigt.“
„Sie haben als Posten hier gestanden, um unsere Annäherung zu beobachten. Uns durften sie nichts tun, weil wir mehr Personen waren als sie; aber sie sahen, daß er weit hinter uns war, und beschlossen, ihn festzunehmen.“
„Diese Schurken, die pfiffigen!“
„Unsinn! Es war nichts weniger als pfiffig von ihnen, denn sie haben sich dadurch verraten. Es war ihnen jedenfalls befohlen worden, wenn sie uns kommen sehen, dies sofort dem Häuptling zu melden. Anstatt dies zu tun, sind sie stecken geblieben, um den unvorsichtigen Nachzügler zu ergreifen.“
„Was tun nun wir, Sir?“
„Wir müssen ihn befreien.“
„Wie? Indem wir diese Kerls offen angreifen?“
„Ja, falls es nicht anders geht. Vielleicht helfen wir uns auch mit List. In beiden Fällen müssen wir wissen, wo die Comanchen stecken.“
„So müssen sich einige von uns auf die Suche machen. Ich und mein Bruder wollen gehen. Meinst du nicht auch, alter Tim?“
„Yes“, nickte dieser.
„Nein, nicht ihr!“ erklärte ich. „Ihr habt wiederholt gezeigt, wie man sich auf euch verlassen kann. Ich werde selbst gehen.“
„Well, wie ihr wollt! Aber es ist ja gar nicht gesagt, daß wir immer solches Pech haben müssen wie bisher.“
„Von Pech ist keine Rede. Ihr seid nicht unglücklich, sondern unvorsichtig und voreilig gewesen; das ist es, Mr. Snuffle. Ihr bleibt hier und geht nicht von der Stelle, bis ich wiederkomme.“
„Und wenn Ihr nicht wiederkommt?“
„Ich komme gewiß.“
„Sie können Euch ergreifen!“
„Pshaw! Wer mich festnehmen will, der muß mich überrumpeln, und das ist hier nicht möglich, weil ich ja weiß, daß wir die Feinde vor uns haben. Paßt aber gut auf, daß sie euch nicht überfallen. To-kei-chun wird, wenn er erfährt, welche Dummheit seine Späher begangen haben, annehmen, daß wir das Fehlen von Mr. Dschafar bemerken und umkehren; er weiß, daß wir die Spur
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