20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
des Überfalls finden und also gewarnt sind und uns infolgedessen zurückziehen. Er wird höchstwahrscheinlich einige Leute vorschicken, um zu erfahren, wo wir uns befinden. Wenn diese Kundschafter hierherkommen, so haltet sie fest; macht aber keinen Lärm dabei! Meine Gewehre sind mir jetzt im Weg; ich lasse sie bei euch. Ihr wißt wohl, was ich euch da anvertraue!“
Dieser Gedankenaustausch hatte in höchster Eile stattgefunden, denn ich durfte keine Zeit versäumen. Es war ja möglich, daß ich die drei Roten mit Dschafar einholen konnte, noch ehe sie das versteckte Lager der Comanchen erreicht hatten. Wenn mir dies gelang, zweifelte ich nicht daran, daß es mir nicht schwerfallen würde, ihnen ihren Gefangenen wieder abzunehmen. Ich gab also den Gefährten meine Gewehre und machte mich an die Verfolgung der Spur, welche seitwärts in die Büsche führte.
Die drei Indianer wußten uns sicher voraus; sie konnten also nicht auf dem geraden Weg zu den Ihrigen gelangen, weil sie da auf uns gestoßen wären, sondern sie waren zu einem Umweg gezwungen, welcher jedenfalls einen Bogen bildete. Wenn ich ihnen auf ihrer Fährte folgte, mußte ich diesen Umweg auch machen und holte sie also nicht ein. Darum entschloß ich mich, dies nicht zu tun, sondern den Bogen auf seiner Sehne abzuschneiden.
Zunächst freilich blieb ich auf ihrer Spur, um die wahrscheinliche Größe und Ausbiegung dieses Bogens kennenzulernen; dann aber, als ich mir hierüber klar war, wich ich von ihren Fußeindrücken ab und drang in gerader Richtung in das Gebüsch ein. Dabei mußte ich so rasch wie möglich sein und durfte mich doch nicht hören lassen. Das war nicht leicht.
Als ich eine Strecke, welche ungefähr fünfhundert Schritt betragen konnte, zurückgelegt hatte, traf ich wieder auf die Spur, welche also von der Seite zurückkehrte; ich hatte den Bogen abgeschnitten und befand mich höchstwahrscheinlich in der Nähe der Comanchen. In dem Augenblick, als ich die Fährte wieder sah, hörte ich vor mir ein Geräusch und horchte auf. Es entfernte sich. Sollten die drei Roten mit Dschafar soeben erst hier gewesen sein? Ich folgte so schnell und so leise wie möglich hinterdrein. Schon nach kurzer Zeit war ich gezwungen, anzuhalten, denn ich hörte Stimmen.
„Uff, uff!“ rief jemand. „Ihr kommt von dieser Seite und – – –“
Er hielt inne, wahrscheinlich vor Erstaunen darüber, daß sie einen Weißen mitbrachten. Dieser Sprecher war der Häuptling To-kei-chun; das hörte ich.
„Ja, wir kommen von links“, antwortete einer von den drei, „und bringen dieses Bleichgesicht.“
„Uff! Das ist ja der Weiße, der so plötzlich und unbegreiflich von uns verschwand! Nehmt ihn vom Pferd und bindet ihn! Wo habt ihr ihn ergriffen?“
„Hinter Old Shatterhand.“
„Hinter ihm? Wie soll ich das verstehen?“
„Wir sahen Old Shatterhand kommen; die andern Weißen waren bei ihm; dieser aber war zurückgeblieben und allein. Da warteten wir, bis er kam, und nahmen ihn gefangen!“
„Uff! Da meint ihr nun wohl, daß ich euch dafür loben werde?“
„Wir glauben, recht gehandelt zu haben!“
„Falsch habt ihr gehandelt, ganz falsch! Wo habt ihr euer Gehirn und eure Gedanken gehabt! Nun ist unser ganzer schöner Plan zunichte. Wir werden Old Shatterhand nicht fangen!“
„Wir glaubten, ihn schon als Gefangenen hier zu finden, denn er muß längst hier sein.“
„Ihr habt gehandelt wie kleine Knaben, die noch nicht gelernt haben, nachzudenken! Er wird nun gar nicht kommen!“
„Er wird kommen, denn er ritt an uns vorüber und in gerader Richtung nach hier. Er wird aus irgendeiner Ursache angehalten haben und dann bald erscheinen. To-kei-chun mag befehlen, daß niemand sprechen darf, sonst hören uns die Bleichgesichter, wenn sie sich nähern.“
„Uff! Ihr seht also selbst jetzt noch nicht ein, daß ihr alles verdorben habt!“ rief der Häuptling, anstatt zu schweigen, zornig. „Was ging euch dieses Bleichgesicht an! Als ihr die Weißen von weitem erblicktet, mußtet ihr sofort hierherkommen, um es mir zu melden; das hatte ich euch befohlen. Sie mußten hier vorüber, und wir hätten sie alle ergriffen, denn sie ahnten nicht, daß wir uns hier befinden. Nun aber wissen sie es!“
„Woher sollen sie es erfahren haben?“ verteidigte sich der Gescholtene.
„Durch euch! Sie haben gemerkt, daß dieser Weiße fehlte, und auf ihn gewartet. Als er nicht kam, kehrten sie um, denn sie mußten den Grund seines Ausbleibens
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