20 - Im Reiche des silbernen Löwen I
vor uns Leute dagewesen sind.“
„Es ist nicht falsch, sondern richtig; ich sehe es jetzt sehr genau. Schaut diesen Zweig! Der Kenner schwört darauf, daß er nicht gestern abend, sondern schon vorher abgerissen worden ist, denn der Bruch ist schon dunkel gefärbt.“
„Da müßte der Boden doch Fuß- und Hufspuren zeigen!“
„Die hat es jedenfalls gegeben, aber sie sind von den Eindrücken, welche wir und unsere Pferde gemacht haben, nicht mehr zu erkennen. Und wenn dies auch nicht wäre, so kann man überhaupt heut Spuren von gestern mittag nicht mehr sehen, außer sie befänden sich am weichen Rand des Wassers. Laßt uns einmal dort suchen!“
Kaum waren wir von verschiedenen Seiten, da, wo wir eben gestanden hatten, an das Wasser getreten, so ließ dieser und jener von uns einen Ruf der Überraschung hören. Wir fanden Menschen- und Pferdespuren. Die Menschen hatten Mokassins angehabt, und die Pferde waren barfuß, also unbeschlagen, gewesen.
„Indianer, das sind Indianer gewesen!“ rief Jim Snuffle. „Meinst du nicht auch, alter Tim?“
„Yes“, nickte der Gefragte, indem er sich niederbückte, um einen der Eindrücke mit andächtiger Genauigkeit zu betrachten.
„Und zwar scheinen es viele gewesen zu sein, sehr viele! Was sagt Ihr dazu, Mr. Shatterhand?“
„Ja, es sind nicht wenige gewesen“, antwortete ich. „Schade, daß wir gestern hier ankamen, als es schon zu dunkel war, diese Spuren zu bemerken! Wir hätten zählen können.“
„Können wir das nicht jetzt noch?“
„Schwerlich!“
„Wir nicht, aber Ihr?“
„Auch ich nicht. Ich schätze aber, daß es weit mehr als dreißig gewesen sind. Genauer läßt es sich unmöglich bestimmen.“
„Wer mag es gewesen sein?“
„Comanchen natürlich, denn andere befinden sich hier in dieser Gegend nicht, wenigstens jetzt.“
„Doch nicht etwa die unserigen? Ich meine To-kei-chun mit seinen Leuten.“
„Hm! Es wäre die Möglichkeit. Aber das könnte nur dann der Fall sein, wenn er uns nicht verfolgt hätte, sondern gleich, als wir von ihm fort waren, ohne Säumen und die Nacht hindurch direkt nach den Hazelstraits geritten wäre.“
„Was hätte er dort zu suchen gehabt?“
„Ja, so frage auch ich. Er wollte doch bei den Häuptlingsgräbern den Kriegstanz tanzen und die Medizin befragen, und von den Hazelstraits ist gar keine Rede gewesen!“
„Also müssen es andere Comanchen sein!“
„Wahrscheinlich. Aber, da kommt mir ein Gedanke!“
„Welcher?“
„Er kann erfahren haben, wohin wir wollen.“
„Das müßte ihm einer von uns gesagt haben!“
„Allerdings.“
„Aber wer? Es wird doch niemand so dumm gewesen sein, es ihm zu verraten!“
„Oh, was Dummheiten anbelangt, so sind deren so viele und so unglaubliche vorgekommen, daß auch diese nicht undenkbar ist. Haben die Gefangenen vielleicht in Gegenwart ihrer roten Wächter miteinander von den Hazelstraits gesprochen?“
„Nicht ein Wort!“ antwortete einer der beiden gefangen gewesenen Führer; der andere bestätigte es, und die beiden Diener schlossen sich dieser Aussage an.
„Ihr auch nicht, Jim und Tim?“
„Nein“, erklärte Jim. „Wir haben gar nicht davon sprechen können, weil wir das von den Hazelstraits erst erfuhren, als wir gestern frei und nicht mehr bei den Comanchen waren.“
„So wäre noch eins möglich, nämlich daß Mr. Dschafar und Mr. Perkins davon geredet haben, als ich sie gestern, während ich zu den Roten ritt, allein bei dem Häuptling zurückließ.“
Da rief Perkins eifrig:
„Was denkt Ihr von mir, Sir! Ich werde doch nicht so wahnsinnig sein‚ diesem roten Teufel unsern Weg zu verraten!“
„Also auch nicht. So haben wir es denn mit einer andern Comanchenabteilung zu tun.“
„Das ist gewiß“, stimmte Jim mir bei; „ich kann es beweisen.“
„Beweisen! Womit?“ fragte ich.
„Nicht wahr, jetzt fragt Ihr mich!“ lachte er vergnügt. „Oh, Jim Snuffle hat auch gelernt, scharf nachzudenken! Wenn es To-kei-chun mit seiner Schar wäre, so müßten wir unterwegs schon früher auf seine Fährte getroffen sein, denn er käme doch grad daher, woher wir auch gekommen sind.“
„So, das nennt Ihr scharf nachdenken?“
„Ja.“
„Das ist überhaupt nicht nachgedacht und noch viel weniger scharf.“
„Oho!“
„Ja, ja, Mr. Snuffle! Ihr vergeßt, daß wir erst fünf Stunden lang südwärts geritten sind und er also, wenn er direkt und in gerader Linie geritten wäre, gar nicht auf unsere Spur treffen
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