2011 - komplett
atmete dabei tief den zarten Duft nach Jasmin- und Rosenblüten ein. „Obwohl ich nicht glaube, dass man einen Gentleman gemeinhin als reizend bezeichnet.“
Sie lächelte amüsiert. „Verzeih mir bitte. Ich meinte natürlich ‚abscheulich‘.“
Er zuckte zusammen. „Aua. Es muss doch etwas zwischen ‚reizend‘ und ‚abscheulich‘
geben.“
„Ach? Und was schlagen Sie also vor, Mylord?“
„Nichts dergleichen, meine Liebe. Da ich deine Neigung kenne, mich mit den unmöglichsten Titeln zu bedenken, wollte ich nur vermeiden, dass du mich womöglich noch mit Lord Reizend ansprichst.“
„Du musst aber zugeben, Lord Reizend besitzt ein gewisses Flair.“
Er hob spöttisch die Augenbrauen. „Nein, tut es nicht. Wie wäre es mit ... elegant?“
Nach einem scheinbar ungehaltenen Blick an die Decke, stieß sie einen Seufzer aus, der wohl ausdrücken sollte, wie sehr Sebastian ihre Geduld auf die Probe stellte. „Na schön. Du siehst ja auch wirklich sehr elegant aus.“ Und mit einem Schmunzeln:
„Lord Reizend.“
„Schelm.“
„Schuft.“
„Unruhestifterin.“
Sie spitzte die Lippen, als müsse sie überlegen, und lachte dann. „Na gut, ich bekenne mich schuldig.“
Ihr Lachen war unwiderstehlich. Sebastian ertappte sich dabei, wie er es erwiderte, und genoss die ungezwungene Kameradschaftlichkeit, die ihn an die Zeit erinnerte, als sie noch über alles und jeden gesprochen, miteinander gelacht und ihre Geheimnisse miteinander geteilt hatten.
Wie auch einen Kuss im Garten.
Die Erinnerung daran traf ihn unvorbereitet. Unwillkürlich blickte er auf ihre Lippen, die Lippen, von denen er so oft träumte. Sie waren so weich gewesen und hatten leicht nach dem Apfel geschmeckt, den Addie gerade aß ...
„Was hast du eigentlich so getan in den vergangenen Monaten?“
Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Hastig hob er den Blick. „Getan?“
„Ja, getan“, wiederholte sie belustigt. „Deine Tätigkeiten. In den letzten zwei Monaten. Seit ich dich das letzte Mal traf.“
Ihr letztes Treffen lag mehr als nur zwei Monate zurück. Es war der vierzehnte April gewesen und vor Gunter’s Eiskaffee am Berkeley Square. Er war gerade aus dem Geschäft herausgekommen, als Addie mit ihrer Tante Margaret eintreten wollte. Sie hatten sich nur kurz freundlich begrüßt und waren dann jeder ihrer Wege gegangen.
Doch diese unerwartete Begegnung hatte Sebastian in all den vielen Wochen seitdem nicht mehr losgelassen.
„Vor allem Spenden für das Royal Brompton Hospital gesammelt“, sagte er. Und versucht, dich zu vergessen, fügte er in Gedanken hinzu. Wobei seine Bemühungen um neue Spenden eindeutig mit größerem Erfolg gekrönt gewesen waren. „Und du?“
„Ich habe gemalt und gezeichnet. Vater ist so freundlich, mir zu erlauben, den Dachboden in unserem Londoner Stadthaus zu einem kleinen Atelier umzubauen.
Dann sind da noch meine monatlichen Treffen mit der Gesellschaft für das Frauenwahlrecht und mein Leseklub.“
„Also bist du vor allem in London gewesen und weniger hier in Buntingford?“
„Ja. Tante Margaret wohnt mit mir zusammen in London. Sie wird auch mit mir nach Paris reisen.“
„Paris?“
„Ja. Wir reisen in vier Tagen ab und kehren erst im Sommer zurück.“
Sebastian war einen Moment lang sprachlos, dann sagte er verblüfft: „Ein recht ausgedehnter Urlaub.“
„Das ist kein Urlaub. Ich habe vor, Kunst zu studieren.“ Addies Augen strahlten, wie immer wenn sie von etwas sprach, das sie begeisterte. „In Paris gibt es unzählige Ausstellungen und so viele Gelegenheiten zu lernen. Ich möchte unbedingt meine Malkünste perfektionieren.“
Das Gefühl, einen schmerzhaften Verlust zu erleiden, sollte Addie wirklich so weit fortgehen, war natürlich völlig unvernünftig. Er sollte vielmehr erleichtert sein, denn wenn sie sich in Paris aufhielt, konnte er ihr nicht zufällig begegnen. Außerdem wäre es ihm unmöglich, ihr etwas zu missgönnen, das ihr offensichtlich so große Freude bereitete. „Ich habe schon immer deine Entschlossenheit bewundert, dein Talent zu fördern, und hoffe, du wirst den Erfolg erzielen, den du dir wünschst. Allerdings glaube ich, dass du schon jetzt eine großartige Künstlerin bist.“
Sie errötete heftig. „Danke, Sebastian. Das ist reizend von dir.“
„Nun, nicht umsonst werde ich Lord Reizend genannt.“
Ihr Lächeln brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht. Hastig kaschierte er sein Stolpern mit einer schnellen Wendung und
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