2011 - komplett
ihrer Handfläche, noch warm von ihrem Körper, wo er zwischen ihren Brüsten gelegen hatte. Es war Sebastians Geschenk an jenem Weihnachtsfest nach ihrem Kuss. Seitdem hatte sie die Kette keinen einzigen Tag abgenommen. Was natürlich lächerlich war, denn morgen oder spätestens übermorgen würde die Verlobung bekannt gegeben werden. Es hatte gewiss nicht nur sie überrascht, dass es nicht schon heute Abend beim Ball geschehen war. Und dennoch. Obwohl Addie wusste, wie dumm es von ihr war, sein Geschenk nach all diesen Jahren noch immer zu tragen, konnte sie sich nicht davon trennen. Obwohl Sebastian ihre Schwester liebte. Und obwohl ihre Schwester Sebastian liebte. Falls sie jemals daran gezweifelt hatte, so hatte ein Erlebnis beim Weihnachtsfest im letzten Jahr ihr die Augen geöffnet, als sie Sebastian und Grace versehentlich dabei ertappt hatte, wie sie sich im Stall küssten.
Dieser Anblick war für sie wie ein Schlag ins Gesicht gewesen und hatte jede ihrer albernen Hoffnungen im Keim erstickt, an die sie sich bisher verzweifelt geklammert hatte – dass Grace sich in einen anderen Mann verlieben würde. Und dass Sebastian vielleicht doch seine Liebe für mich entdecken wird, dachte sie wehmütig.
Sie seufzte erneut. Welch Ironie. Bei den beiden wichtigsten Momenten in ihrem Leben hatte jeweils ein Kuss von Sebastian eine Rolle gespielt. Leider galt sein Kuss beim zweiten Mal einer anderen Frau.
Addie steckte den Anhänger wieder in ihren Ausschnitt und warf einen Blick zu ihrem Bett hinüber. An Schlaf war nicht zu denken, das wusste sie, also verließ sie ihr Schlafzimmer, um in die Küche hinunterzugehen. Wann immer sie nicht schlafen konnte, half meist ein Glas Glühwein. Sie würde alles versuchen, nur um einschlafen und vergessen zu können.
Am Ende des breiten Ganges folgte sie der geschwungenen Treppe nach unten.
Zimtduft hing in der Luft und vermischte sich mit dem harzigen Geruch der Tannenzapfen, mit denen das ganze Haus geschmückt worden war. Als sie sich dem Billardraum näherte, vernahm sie das Klicken der Kugeln, und ein Lächeln erschien um ihre Lippen. James übte offenbar für den traditionellen Weihnachtswettkampf, was sehr klug von ihm war. Ihr jüngerer Bruder hatte es bisher noch nicht geschafft, sie beim Billard zu schlagen, und mit seinen fünfzehn Jahren sah er es als seine männliche Pflicht an, diese schändliche Tatsache zu ändern.
Die Tür stand leicht offen. Addie ging auf leisen Sohlen näher, insgeheim schon schmunzelnd bei dem Gedanken, ihren frechen kleinen Bruder zu erschrecken, wie er es so oft mit ihr tat.
Vorsichtig spähte sie in den Raum und erstarrte. Es war nicht ihr Bruder, sondern Sebastian, der sich über den Tisch beugte, um seinen nächsten Stoß vorzubereiten.
Er versenkte die rote Kugel und richtete sich langsam auf. Addie stockte der Atem.
Sebastian hatte seinen Abendfrack und auch die Weste ausgezogen und die Ärmel seines schneeweißen Hemds hochgekrempelt, sodass sie die starken Arme sehen konnte. Das Hemd hatte er am Kragen gelockert. Fasziniert starrte Addie auf den kleinen Ausschnitt nackter Haut, der dort enthüllt wurde – viel mehr, als die Schicklichkeit erlaubte, und doch viel zu wenig für ihre sehnsüchtigen Blicke. Sein Haar war leicht zerzaust, als wäre er mit den Händen hindurchgefahren, und ein leichter Bartschatten lag um sein Kinn. Addie hatte ihn oft in legerer Kleidung gesehen, aber nicht mehr in letzter Zeit, und ganz gewiss nicht so aufregend leger wie jetzt – als befände er sich in seinem Schlafzimmer und hätte schon begonnen, sich allmählich auszuziehen.
Ihre innere Stimme riet ihr, sich schleunigst zurückzuziehen, und Addie beschloss –
wenn auch mit größtem Widerwillen –, auf sie zu hören. Nach einem letzten verstohlenen Blick wollte sie sich schon abwenden, da ließ Sebastians tiefe Stimme sie zusammenzucken. „Hast du vor, dich die ganze Nacht hinter der Tür zu verstecken, Addie, oder möchtest du lieber ein Spiel mit mir wagen?“
Zum Kuckuck, der Mann musste Augen wie ein Luchs haben! „Ich verstecke mich nicht“, erwiderte sie stolz und trat hinter der Tür hervor. „Ich ... stehe lediglich hier.“
„Ja, aber bevor du da gestanden hast, hörte ich dich den Gang hinuntergehen.“
Offenbar verfügte er auch über Ohren wie ein Luchs. „Woher wolltest du wissen, dass ich es bin?“
Er zuckte die Achseln. „Ich erkenne deine Schritte. Außerdem beherrschst du die Kunst des Anschleichens
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