2011 - komplett
keine Heilung, kein Medikament, das Sie nehmen können?“
Er zögerte. „Nein, keiner der Ärzte, die ich in den vergangenen Jahren konsultierte, konnte mir helfen. Ich besitze eine Brille mit speziell getönten Gläsern für die wenigen Gelegenheiten, da ich gezwungen bin, bei Tageslicht auszugehen. Doch meistens ist es einfacher für mich, im Haus zu bleiben. Mein Gut ist zugleich meine Zuflucht und mein Gefängnis.“
Mitleid schnürte ihr die Kehle zu. Die Seelenverwandtschaft, die sie mit diesem seltsam schönen Mann zu verbinden schien, machte es ihr immer schwerer, in ihm den Feind zu sehen, der er in Wirklichkeit war.
Seine nächsten Worte erstaunten sie. „Sie selbst haben auch sehr ungewöhnliche Augen.“
Sie zuckte zusammen. „Ich weiß, wie eigenartig sie sind“, erwiderte sie und hasste es, dass sie ihre Verletzlichkeit nicht verbergen konnte. „Sie brauchen mich nicht darauf hinzuweisen.“
Dieses Mal war er es, der sie verblüfft ansah. „Meine liebe Miss MacPherson, wären Sie wie alle anderen Frauen, würde ich schwören, Sie seien auf ein Kompliment aus.“
„Was?“, rief sie verlegen. „Ganz gewiss nicht!“
„Dann haben Sie mich missverstanden. Ich wollte sagen, dass Sie sehr schöne Augen haben. Sie selbst sind wunderschön.“
Fiona senkte den Kopf. „Jetzt nehmen Sie doch noch Zuflucht zu Komplimenten.“
„Aber nein! Alles an Ihnen ist so farbenfroh, so lebendig. So anders als meine blasse, leidenschaftslose Erscheinung. Ich erinnere die meisten sicher an ein Gespenst.“
Sie sah wieder auf. „Nun ja, aber mir gefallen Gespenster eigentlich ganz gut“, gab sie zu.
Es folgte kurzes Schweigen. Beide lächelten sich zu.
Um nicht zu riskieren, eine weitere Dummheit von sich zu geben, legte Fiona ihre Serviette auf den Tisch, schob ihren Stuhl zurück und stolperte beim Aufstehen leicht. Anders als sonst, hatte ihre Ungeschicktheit nichts mit ihrem Hinken zu tun.
„Ich gehe am besten wieder ... an meine Arbeit zurück.“
Mr Templeton stand ebenfalls auf. „Wie ich sehe, habe ich es geschafft, Sie wieder zu erzürnen.“
Hastig schüttelte sie den Kopf. „Nein, nein. Es ist nur, ich bin es nicht gewohnt, so nette Worte zu hören. Nicht mehr seit ...“
Zu ihrer Erleichterung war Mr Templeton zu ritterlich, auf eine Erklärung zu drängen.
„In dem Fall sehe ich Sie also später.“
„Ja, später“, stimmte sie zu, schon halb zur Tür hinaus.
So schnell sie konnte, eilte sie aus dem Zimmer und hielt erst im Vestibül inne, wo sie stehen blieb, um aus dem Fenster zu schauen. Draußen heulte noch immer der Wind, und der Schneefall hatte nicht nachgelassen. Wie es aussah, verschworen die himmlischen Mächte sich schon wieder gegen sie.
Trotz Mr Templetons Entschlossenheit, sich auf den Weg zu machen, und ihrem Wunsch, ihn endlich loszuwerden, würde er heute nirgendwohin gehen – weder allein noch mit seinem kostbaren Aristoteles.
5. KAPITEL
Verdammt. Dieses Wort schien sein ganzes Leben auszudrücken. Tobias stand am Fenster der Buchhandlung und blickte durch eine Schutzbrille auf das Wüten des Schneesturms hinaus, während er insgeheim über sein größtes Problem grübelte.
Dieses Problem war nicht der Aristoteles, der sich wahrscheinlich irgendwo im Geschäft in Sicherheit befand, und nicht einmal sein körperlicher Zustand, der das Bedürfnis danach geschaffen hatte. Nein, sein Problem hatte ein ganz bestimmtes menschliches Gesicht.
Miss Fiona MacPherson.
Sie war sofort nach dem Mittagsessen in ihrem Zimmer verschwunden. Man konnte kaum sagen, dass ihr erstes gemeinsames Mahl gut verlaufen war, und trotzdem hatte er es teilweise genossen. Miss MacPherson mochte die aufreizendste Frau sein, der er je begegnet war – nein, sie war ohne jeden Zweifel die aufreizendste –, aber sie war auch die aufregendste, klügste und schönste von allen. Er wunderte sich, dass er sie je für ein Geistermädchen, ein Phantom hatte halten können. Mit ihren schimmernden kupferfarbenen Locken, den schönen blaugrünen Augen und der leicht golden schimernden Haut strahlte sie Wärme, Energie und Sonnenschein aus. Und doch tat Fionas Licht seinen Augen nicht weh. Viel eher zogen ihr Glanz und ihre Lebenskraft ihn unwiderstehlich an.
Je länger er in ihrer Gegenwart verbrachte, desto größer wurde seine Überzeugung, dass ihre kühle Fassade nichts weiter war als genau das – eine Fassade, die sie errichtet hatte, um nicht wieder verletzt zu werden. Er selbst
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