2012 - Folge 3 - Tödliches Vermächtnis
Trotzdem schlug er sich allein durchs Leben, zäh und verbissen, ein Mensch, der niemals aufgab.
Mit leuchtenden Augen hatte Anselmo dem Archäologen seine Sammlung präsentiert, vor allem seine Buchbestände aus früheren Jahrhunderten, die sein ganzer Lebensinhalt geworden waren. Da Gama kam als Käufer des Artefakts nicht in Betracht; er hatte in den fraglichen Monaten wegen seiner Rückenmarkverletzung in einer Klinik in Mexiko-City gelegen und war mehrmals operiert worden. Darüber hatten Pierres Recherchen leider keine Auskunft gegeben.
Ericson achtete nicht auf den vorbeifließenden Mittagsverkehr, ebenso wenig interessierten ihn die vorbeieilenden Passanten. Nur hin und wieder schreckte er aus seiner Nachdenklichkeit auf und schaute sich gedankenverloren um. Jetzt wieder.
Er zuckte heftig zusammen. Keine hundert Meter entfernt stand der »Don«, wie er ihn genannt hatte: der Mann im eleganten weißen Anzug mit dem ebenfalls weißen Schlapphut. Derselbe Mann, der nach dem Mord an Branson aufgetaucht war, den er in einer Gasse in San Miguel del Cozumel gesehen hatte – und der auch in der Irrenanstalt nahe Playa del Carmen angeblich durch eine Wand getreten war und einen Pfleger umgebracht hatte.
Tom schaute genauer hin – und blinzelte verwirrt.
Er hatte sich getäuscht. Da stand kein Mann in Weiß an der Straßenecke, sondern eine junge Frau in heller Kleidung. Bekam ihm etwa die grelle Sonne nicht?
Es war auch völlig unmöglich, hier auf den Mann in Weiß zu treffen! Tom hatte sich fast eine Woche Zeit gelassen, bis er sicher gewesen war, dass er nicht verfolgt wurde. Außerdem hatte er den Flug nach Europa in mehreren Etappen absolviert, über New York nach Paris, von dort aus weiter nach Prag und dann erst Barcelona.
Prag hätte nicht sein müssen, doch der Flug und zwei Tage Aufenthalt hatten sich einfach so ergeben. Zwei Tage fürs vorübergehende Vergessen, stattdessen Nostalgie und ein Hauch von Glücklichsein, wenn auch nur in der Erinnerung.
Prag war eine der Stationen seiner Hochzeitsreise gewesen. Zehn Jahre lag das inzwischen zurück und gehörte längst wie so vieles andere zu den abgehakten Stationen seines Lebens. Das Dumme daran war: Er verstand seine geschiedene Frau sogar. Er konnte den Grund nachvollziehen, aus dem sie sich von ihm getrennt hatte. Er brauchte ja nur in den Spiegel zu schauen, um das zu erkennen.
Als Abby damals von Scheidung gesprochen hatte, da hatte er zum ersten Mal seinen Forschungseifer verwünscht. Für Abby hätte er das Erreichte aufgegeben, wenn er nur gewusst hätte, wie. Der Prozess ließ sich nicht mehr rückgängig machen.
Die Sonne brannte ihm in den Nacken. Tom schwitzte. Trank sein Bier aus und bestellte ein zweites.
Was habe ich falsch gemacht? Er wusste es nicht.
Als die Bedienung das Bier brachte, bat er um eine Auswahl von Tapas. Während er auf den ersten herumkaute, glitten seine Gedanken wieder zu der erkalteten Spur zurück.
Drei Namen – und alle drei Blindgänger. Sollte er noch einmal Pierre Leroy bemühen, dessen Kontakte zu hochrangigen Behörden überhaupt erst drei Kandidaten zutage gefördert hatten?
Nachdenklich kaute Tom auf den Tapas herum. Als er aufsah, war das Bier bereits halb »verdunstet«. Eines war ihm mittlerweile klar: Wer auch immer das Artefakt besaß, er hatte die Mittel und Wege, seine Spuren zu verwischen.
Tom seufzte, schob den Teller mit den letzten Schnittchen zur Seite und öffnete sein Netbook, das er aus dem Hotelzimmer mitgenommen hatte. Die Verbindung ins Internet baute sich rasch auf.
Einen Namen … er brauchte einen Namen. Vielleicht wurde er ja im Freundeskreis der drei Kunstsammler fündig.
»Víctor …«, murmelte er unhörbar in sich hinein.
Carcía-Carrión hatte den Namen am Telefon genannt, als ihr Gespräch von dem Anruf unterbrochen worden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte Tom dem Namen keine Bedeutung zugemessen; nun aber wurde er zum Strohhalm, nach dem er dankbar griff.
Nach dem Anruf hatte sich Pedro Carcía-Carrión schroff und abweisend gezeigt und Tom quasi hinausgeworfen. Das konnte eigentlich nur mit einer Information zusammenhängen, die dieser Víctor dem Kunstsammler mitgeteilt hatte. Eine überraschende, negative Information, sonst hätte Carcía-Carrión nicht erschrockene »Madre de Dios« gesagt.
»Víctor …« Tom Ericson gab den Namen in eine Suchmaschine ein und fügte, um die Trefferquote nicht ausufern zu lassen, noch »Kunstsammler« und »Konsulat«
Weitere Kostenlose Bücher