2017 - Das Kind und der Pflanzenvater
und wir hätten nicht die Botschaft erhalten, uns nicht einzumischen."
„Es tut mir trotzdem leid, daß ich alle Gesetze mißachtet habe", wiederholte Mondra. „Aber ich will ehrlich sein: Ich würde es wieder tun, wenn es um mein Kind ginge."
„Ich bin selbst Mutter, Ich weiß, wozu man fähig sein kann, wenn man so sehr in die Enge getrieben wird. Ich hätte vermutlich genauso gehandelt, wenn ich Arystes nicht gekannt hätte."
Rilme-Ireffe gestikulierte viel mit ihren feinnervigen Händen. Sie wirkte überaus nervös und verwirrt. „Wie geht es Yhata-Satnaky?" erkundigte sich Mondra. „Ich wollte ihm so gern noch einmal danken, wenn ich darf ..."
„Oh, das weiß er sicher." Rilme-Ireffe preßte die Handflächen aneinander, berührte mit den Fingerspitzen ihre Stirn, danach Mondras. „Yhata-Satnaky hat seinen sterblichen Körper verlassen und ist in ESTARTUS Reich eingegangen."
Mondra machte ein betroffenes Gesicht. „Ich hoffe, das ist nicht durch meine Schuld geschehen..."
„Seine Tage waren längst gezählt, Wie ich es sehe, hat er es nur wegen dieser letzten Aufgabe hinausgezögert, um dann bei Arystes den Übergang vorzubereiten. Ich fand ihn mit dem glücklichsten Lächeln, das du dir vorstellen kannst." Die oberste Nonne holte tief Atem. „Es geschehen viele verwirrende Dinge seit eurem Erscheinen, und es fällt mir nicht leicht, damit umzugehen und es verstehen zu lernen. Das überraschendste ist - ich beherrsche nun die Windsprache so, wie wir beide uns unterhalten. Ich weiß nicht, wodurch das geschah. Aber Arystes rief mich zu sich auf die Lichtung, Und er hat mir einen Auftrag erteilt. Deshalb mußte ich einen Gleiter nehmen und zu dir kommen - zu der Mutter des Anführers."
Mondra Diamond war jetzt noch verwirrter als die oberste Nonne. Die ehemalige TLD-Agentin wußte überhaupt nicht mehr, was sie sagen sollte.
Rilme-Ireffe öffnete einen großen Beutel, den sie mit sich geschleppt hatte. Sie überreichte der Terranerin eine zehn Zentimeter hohe braune Tonschale von etwa dreißig Zentimetern Durchmesser.
Mondra blinzelte verstört. „Der Wald von Arystes ...", flüsterte sie.
Es war ein pflanzenplastisches Gebilde, geformt aus der Biomasse des Stamms. Ein Wald in Miniaturformat, mit nur millimeterhohem grünem Unterholz, ein paar darüber hinausragenden miniaturisierten Schirmbäumchen und einer Lichtung im Zentrum, mit einem von Kieselchen umsäumten winzigen Teich, in dessen Mitte drei eng beieinanderstehende, sieben Zentimeter hohe, lila blühende Orchideenbäume wuchsen. „Es ist ein Ableger von Arystes, unserem Pflanzenvater", bestätigte die oberste Nonne.
Mondra Diamond nahm die Schale in tiefer Bewegung in Empfang. Sie bildete sich ein, mikrofeinen Blütenstaub erkennen zu können, der in hauchfeinen Wölkchen ausgestoßen wurde.
Sie wußte, daß das nicht einfach ein Ableger einer Pflanze war, sondern ein Wesen mit einem Bewußtsein. Arystes würde von neuem entstehen.
Sie wagte sich nicht auszumalen, was aus dem alten Wald würde. Welchen Grund hätte Arystes zu einem Ableger, wenn nicht den seines nahenden Todes? Aber sie sprach ihre Befürchtung nicht aus; Rilme-Ireffe ahnte es entweder selbst, oder sie würde es früh genug herausfinden. „Aber weshalb für mich?"
„Arystes hat mir sehr deutlich gesagt, wie wichtig es ist, daß du den Ableger erhältst und ihn zusammen mit deinem Sohn heranziehst. Ich durfte mit niemandem darüber reden, sondern mußte mich sofort auf den Weg machen. Und auch hier durfte niemand sonst anwesend sein."
Mondra blickte skeptisch. „Aber ich kann diese Pflanze nicht verborgen halten."
„Das ist auch nicht notwendig", meinte Rilme-Ireffe. „Wichtig war diese Übergabe. Du magst es ein überflüssiges Ritual nennen, aber so hat es Arystes bestimmt - und er tut nichts ohne Grund."
„Bitte richte dem Pflanzenvater meinen Dank aus für diese unvergleichliche Ehre", bat Mondra, immer noch fassungslos. „Ich werde alles tun, um den Ableger wachsen und gedeihen zu lassen."
„Es ist keine Ehre, sondern eine Pflicht", sagte die oberste Nonne ernst. „Es ist wichtig, daß du den Unterschied lernst. Arystes hat dir kein Geschenk gemacht, sondern eine Bürde auferlegt. Es ist so, als ob du nun ein zweites Kind hast, um das du dich ebenso intensiv kümmern mußt wie um dein erstes. Du darfst darin niemals versagen, denn dies ist Teil eurer kosmischen Mission."
Mondra schluckte. Sie war sich auf einmal nicht mehr so sicher, ob sie sich
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