2045 - Aufruhr im INSHARAM
konnte nur hoffen, dass ihre Brüder und Schwestern in diesem neuen Fall keine Dummheit begingen. Wann war eigentlich zum letzten Mal ein Eindringling erschienen und beseitigt worden? Um manche kümmerte sich ihr Volk gar nicht, will sie zu klein und unbedeutend waren. Diese wurden zum Treibgut des Ozeans und setzten sich in der Regel in einer der vielen Ausbuchtungen fest. Der nun angekommene Fremdkörper musste dagegen über gewaltige Ausmaße verfügen und viele andere, kleinere ausgespien haben. „... Ruyde ..."
Sie erschrak leicht und wandte sich sogleich ihrem Lebenspartner zu. Karja 'hatte ihr der Kopf wieder zugedreht, während sie unverändert Seite an Seite schwammen. Außer der Kommunikation über das Sinjazz-Organ, mit dessen Hilfe sie sich durch weite Teile des INSHARAM verständigen konnten und das nur die Übermittlung unkonkreter Zeichen und Eindrücke erlaubte, stand ihnen die „Sprache" von Person zu Person im Ultraschallbereich zur Verfügung. Die Worte wurden in einer Membran unterhalb des Schlundes gebildet. „Ja, Karja?"
Sie war überrascht darüber, dass er sich jetzt noch an sie wandte. Er sollte doch seine Kräfte sparen. Gleichzeitig aber war sie wie elektrisiert - eben weil sie nicht mehr erwartet hatte, noch einmal seine Stimme zu hören. „Was geht vor, Ruyde? Ich spüre deine Unruhe ..."
„Jemand oder etwas ist ins INSHARAM durch den Auroch-Maxo-Tunnel eingedrungen", teilte sie ihm mit. „Wir wissen noch nichts über die Natur des Eindringlings, aber er muss sehr groß sein."
Ein Strom warmer Psi-Materie fing sie ein und lenkte sie ab. Die bei den Evoesa mussten in eine Nachbarströmung ausweichen. Ruydes Multiorgan arbeitete in der Art eines Sonars und ließ große Teile des INSHARAM vor ihrem geistigen Auge wie auf einer Karte erscheinen. Sämtliche Strömungen wurden erkannt und zu einem komplexen Bild geordnet. Fremdkörper in diesem Bild wurden wahrgenommen, allerdings nicht sonderlich exakt, sondern näherungsweise - je weiter entfernt ein Gebiet war, desto unschärfer wurde die Wahrnehmung.
Und bis zu dem geheimnisvollen Eindringling reichte sie nicht. „Greift sie nicht an!" sagte Karjas Ultraschallstimme schwach. „Wir haben bereits einmal einen großen Fehler gemacht. Sorge dafür, Ruyde! Sie dürfen nicht angegriffen werden, bevor nicht... eindeutig erwiesen ist, dass sie negativer Natur sind und ..."
Seine Worte entfesselten in seiner Gefährtin einen inneren Aufruhr. Einerseits fühlte sie sich für das Geschehen am Dimensionstunnel verantwortlich, andererseits an ihr Versprechen Karja gegenüber gebunden.
Der Gedanke, dass sein Tod unausweichlich und endgültig sein würde und dass die Evoesa am Tunnel vielleicht auf das Kommen und die Entscheidung ihres oder ihrer Ältesten warten würden, gab rasch den Ausschlag. „Ich werde bei dir bleiben, Karja", sagte Ruyde bestimmt. „Auch wenn ich dich von deinem Versprechen entbinde?"
„Auch dann. Aber jetzt rede nicht weiter, sondern spare deine allerletzten Kräfte für die letzte Etappe des Weges auf."
Karja schwieg, aber über ihr Multiorgan empfing Ruyde seine Gefühle. Sie waren aufgewühlt. So kurz vor seinem Tod, dem Übergang zum Ewigen Frieden, war noch einmal eine Situation entstanden, die ihn, den Sterbenden, geistig herausforderte, obwohl sie ihn gar nicht mehr berühren durfte.
So ist er, dachte Ruyde. So war er immer. Wir verlieren mehr als nur einen Ältesten. Was immer an diesem Dimensionstunnel geschah, sie würde die wichtigste Mission ihres Lebens, nämlich in der Stunde seines Todes bei Karja zu sein, ohne Eile zu Ende bringen. An ihre Artgenossen bei dem Eindringling sandte sie nur die dringende Bitte, vorerst nichts zu unternehmen - in der Hoffnung, dass sie sie über die gewaltige Entfernung hinweg erreichte.
Die Reise durch den kristallklaren Psi-Materie-Ozean, zum Schluss in einer sehr schnellen Strömung, dauerte noch mehr als vier Stunden. Dann befanden sich Ruyde und Karja in jenem Seitenarm des INSHARAM, in dem Karja Menem Siganter vor Zehntausenden von Jahren zum erstenmal seiner selbst bewusst geworden war. Es war dies so etwas wie die Stätte seiner Geburt.
Die beiden Evoesa kamen zum Stillstand. Ruyde dirigierte Karja. Sie umtanzten sich schwerfällig. Dann hörte auch diese Bewegung auf. Ruyde hatte gewusst, dass dies geschehen würde. Die Emanationen von Karjas Multiorgan wurden schnell schwächer. Er war an seinem Ziel angelangt und nun bereit zum Sterben. Und sie, Ruyde
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