2063 - Zikanders Körper
schreckliche Geschehen, das um ihn abgerollt war, hatte ihn wachgerüttelt. Er dachte längst nicht mehr an seine verlorene Chance, das Championat zu gewinnen. Was war ein verlorenes Spiel gegen dieses blutige Fiasko! Das ihn umgebende Grauen war so dominant und übermächtig, dass es die Empfindungen des Omraben abtötete. „Von den zurückgebliebenen Gleitern ist keiner mehr zu gebrauchen", sagte Romild Viscosimo. „Wir werden den Weg zum Portal zu Fuß zurücklegen müssen. Aber es ist ja nicht weit."
„Zum Portal?" Sig-Zikander wusste nicht, was sie dort sollten. Aber er hob nur die breiten Schultern. „Warum nicht?"
Vor dem Stadion stießen sie auf die Leichen von sieben Dommrathischen Verkündern. Ihre ehemals weißen Kutten mit dem Emblem der Ritter von Dommrath waren blutgetränkt. Ihre provisorische Verkünderklause war ein Trümmerhaufen. Sig-Zikander sah rotes Blut, gelbes und grünes. Die Do'Tangulhai stammten aus allen Völkern des Landes Dommrath. Auch der Weg zum Diamantportal von Dyffronia war von unzähligen Leichen gesäumt, die beim sinnlosen Wettlauf um eine Passage auf der Strecke geblieben waren. Nirgendwo regte sich Leben. Die Straße der Juweliere, die zum Portal führte und ihm seinen Namen gegeben hatte, lag wie ausgestorben vor ihnen. Sig-Zikander stellte überrascht fest, dass es keine Plünderungen gegeben hatte. Die Juwelierläden, wahre Horte von unschätzbaren Werten, waren alle unangetastet.
Erst als die Freunde in die Nähe der Portalzone kamen, sahen sie die ersten lebenden Wesen. Zuerst waren es nur vereinzelte, die in Richtung Portal stürmten, aber bald schon wurden es immer mehr, bis sie sich einer hin und her wogenden Menge gegenübersahen. „Was nun?" fragte Romild Viscosimo ratlos. „Kennst du einen Schleichweg zum Portal, Sig?" Diese bange und ernstgemeinte Frage seines Freundes erheiterte Sig-Zikander. Er war sicher, dass jede Lücke zwischen ihnen und dem Portal verstopft war.
Ihn überkam eine seltsame, geradezu perverse Neugierde. Wie ist es, was passiert, wenn die geheimnisvolle Seuche ausbricht? fragte er sich. Bisher hatte er noch keine Auswirkungen der Seuche entdecken können. Alles Leid, das über die Omraben von Dyffro VII und ihre Gäste gekommen war, hatten sie sich selbst verursacht. Waren sie einem Fehlalarm aufgesessen? Da entstand vor ihnen ein Tumult. Leute schrien entsetzt, wichen panikartig aus, und in der Menge entstand eine Schneise. Ein einzelner, über drei Meter großer Caranese taumelte stöhnend auf den freien Platz. Sein Gesicht war blutig, so als hätte man ihn geschlagen. Aber das war es nicht, niemand hatte ihn angerührt. Und da wurde es auch Sig-Zikander klar: Dies war ein Seuchenopfer.
Dem Caranesen war die Gesichtshaut aufgeplatzt, und durch diese Wunden wucherten beulenartige Geschwülste. Man konnte förmlich zusehen, wie sie größer wurden. Er hinkte mit dem linken Stummelbein, das fast auf doppelte Dicke angeschwollen war. Mit dem anderen Bein knickte er ein und fiel auf die Seite. Dann wälzte er sich über den Boden, die blutigen, eiternden Hände gegen den gekrümmten Leib gepresst. Er musste unsägliche Schmerzen haben, aber er wimmerte nur vor sich hin.
In diesem Moment erklang ein furchtbarer Schrei in der Menge, der schaurig über den Platz hallte. Der Schrei pflanzte sich wie ein Echo fort, hallte aus allen Richtungen'. Aber es war kein Echo. Es war eine Kettenreaktion von Schreien, die sich aus gequälten Mündern und anderen Sprechorganen lösten. Die Seuche flammte an allen Ecken und Enden auf, griff wie ein Lauffeuer um sich. Es war, als hätte der Caranese das Startzeichen für eine Seuchenexplosion gegeben. Niemand wurde verschont, egal welchem Volk er angehörte. Ob Omrabe oder Berku'Tama, Caranese oder Mindandarer, Zamumonter oder Stuuren oder welcher Abstammung sie auch immer waren - keiner entging der tödlichen Umklammerung der Seuche. Und wen sie einmal im Griff hatte, den trieb sie unweigerlich in den Untergang. Dem endgültigen Ende ging ein jämmerliches, entwürdigendes Siechtum voraus.
Sig-Zikander hatte einmal gehört, dass die Seuche auf wissenschaftlicher Ebene als explosive Zelldeformation bezeichnet wurde. Das war absolut treffend, war aber nur eine vornehme Umschreibung für das, was mit den Betroffenen tatsächlich passierte. Ihre Körper quollen förmlich auf, sprengten die sie umschließende Haut. Zellwucherungen ließen Beulen aus allen Körperteilen wachsen. Aus Mündern wurden Wunden.
Weitere Kostenlose Bücher