Dein Kuss verraet mir alles
1. KAPITEL
Tess stolperte beinahe über die Katze, die um ihre Beine herumstrich. Obwohl Tess eigentlich gerne noch schnell einen Blick in den Backofen geworfen hätte, drehte sie sich mit einem bedauernden Lächeln auf der Stelle um, öffnete eine Dose mit Katzenfutter und füllte sie in eine kleine Schüssel. Die Katze schien ständig hungrig zu sein. Wahrscheinlich hatte sie noch immer Angst, sterben zu müssen. Immerhin war sie herumgestreunt, ehe Tess sie aufgenommen hatte.
Es wurde Tess Brady schon fast zum Verhängnis, dass sie keinem herumstreunenden oder verletzten Tier widerstehen konnte. Die meiste Zeit ihres jungen Lebens hatte sie auf Rodeo-Plätzen verbracht. Ihr Vater war zweimaliger Weltmeister im Kälber-Einfangen mit dem Lasso gewesen. Tess selbst hatte wenig mit den Tieren zu tun gehabt, was vielleicht eine Erklärung dafür war, dass sie Tiere liebte. Seit ihr Vater nicht mehr lebte und sie sich selbst überlassen war, machte es ihr Freude, sich um Tiere zu kümmern. Ob es Vögel mit gebrochenen Flügeln oder kranke Kälber waren, sie hatte sie alle versorgt. Und die Hilfsaktionen nahmen kein Ende.
Dieses Kätzchen war ihre bislang letzte gute Tat. Es war an einem dunklen, regnerischen Abend kurz nach Thanksgiving an der Hintertür aufgetaucht. Tess hatte das Tier hereingenommen trotz des Murrens von zweien ihrer drei Bosse. Ausgerechnet der “Oberboss”, der sie anfangs nicht leiden konnte, hatte sich dann als ihr einziger Verbündeter erwiesen. Er ließ das Kätzchen im Haus bleiben.
Das überraschte Tess. Callaghan Hart war ein Macho von der schlimmsten Sorte. Er war als Captain bei den legendären Green Berets im Golfkrieg eingesetzt gewesen. Als Zweitältester der fünf Hart-Brüder stand er dem Besitz der ausgedehnten Hart-Ranch-Ländereien vor, einem Konglomerat von Ranches und Viehweiden in mehreren Weststaaten. Der Hauptsitz war die Ranch in Jacobsville im Staate Texas.
Simon, der älteste Bruder, war Anwalt in San Antonio.
Corrigan, der vier Jahre jünger war als Simon, hatte vor anderthalb Jahren geheiratet. Er und seine Frau Dorie waren erst kürzlich Eltern eines Jungen geworden.
Drei der Hart-Brüder waren als Junggesellen in Jacobsville verblieben. Reynard, der jüngste, Leopold, der zweitjüngste, und Callaghan, der genau zwei Jahre jünger als Simon war. Sie lebten alle auf der Ranch von Jacobsville.
Tess’ Vater hatte knapp ein halbes Jahr für die Hart-Brüder gearbeitet, als er im Korral nach einem Herzanfall tot zusammenbrach. Für Tess war es entsetzlich gewesen. Ihre Mutter hatte sich aus dem Staub gemacht, als Tess noch klein gewesen war. Cray Brady, ihr Vater, war ein Einzelkind.
Deshalb hatte sie keine weitere Familie, jedenfalls keine, die sie kannte. Die Harts hatten davon gewusst. Als ihre Haushälterin den Wunsch geäußert hatte, sich zur Ruhe zu setzen, war ihnen Tess als der perfekte Ersatz erschienen, weil sie kochen und den Haushalt besorgen konnte.
Tess konnte außerdem wie ein Cowboy reiten, wie ein Experte schießen und in fließendem Spanisch fluchen. Nur wussten die Hart-Jungs nichts von diesen Fertigkeiten, weil Tess niemals die Gelegenheit hatte, sich damit zur Schau zu stellen.
In diesen Tagen waren ihre Talente beschränkt auf das Backen von weichen Brötchen, ohne die alle drei Brüder nicht leben konnten, sowie das Kochen von einfachen, aber herzhaften Mahlzeiten. Die Brüder aßen alles, bis auf Süßspeisen, die keiner von ihnen zu mögen schien.
Es wäre der perfekte Job, sogar trotz Leopolds Streichen, wenn Tess sich nicht vor Callaghan gefürchtet hätte. Und leider sah man ihr das an, was die Dinge nicht besser machte.
Callaghan beobachtete sie die ganze Zeit, musterte sie von ihrem lockigen rotgoldenen Haar und den hellblauen Augen bis zu den zierlichen Füßen, so als ob er nur darauf wartete, dass sie einen Fehler machte, damit er sie feuern konnte. Am Frühstückstisch ließ der Blick dieser schwarzen spanischen Augen ihr Gesicht nicht los, obwohl Tess sich ständig von ihm abgewandt hielt. Sein tief gebräuntes Gesicht war schmal, seine Stirn breit, und er hatte buschige Augenbrauen. Er hatte eine große Nase, große Ohren und große Füße, aber sein scharf geschnittener Mund war perfekt, und er hatte volles, glattes Haar, so schwarz wie ein Rabe. Er sah nicht direkt gut aus, aber er war gebieterisch, arrogant und furchterregend selbst für andere Männer.
Leopold hatte ihr einmal erzählt, dass seine Brüder versuchten
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