2078 - Die Pforten von Zentapher
vorbereiten konnten.
Aber damals, zwei Jahre vor der Katastrophe, war das anders. Der Architekt tauchte völlig überraschend in seiner Fähre bei uns, auf. Er kam in keiner prunkvollen Karrosse, an der man ihn hätte erkennen können, sondern in einem schlichten Boot, Wie sie in ZENTAPHER Standard sind. Erst als die Fähre sich auf den Marktplatz niedersenkte, war der einzelne Passagier als Architekt an seiner Ausstrahlung zu erkennen.
Es setzte eine panikartige Flucht ein, und die Bibliothekare bedeckten im Laufen ihre Augen, weil sie es nicht wagten, den Architekten mit ihren Blicken zu beleidigen.
Es war ein unbrüchliches Gesetz im Kabinett Saraogh, daß kein Unwürdiger je den Architekten zu Gesicht bekommen dürfe.
Auch ich, der ich mich gerade in der Nähe der Landestelle befand, wollte die Flucht ergreifen.
Aber da hörte ich eine mächtige Stimme rufen: „Du da, lauf nicht weg!"
Ich hielt wie gelähmt mitten in der Bewegung inne, gleichzeitig war ich wie elektrisiert. Denn ich spürte es mit jeder Faser meines Körpers, daß der Ruf nur mir gegolten haben konnte. „Ja, dich meine ich. Du darfst dich mir zu wenden. Wie ist dein Name?"
Ich nannte meinen Namen im Umdrehen. Und da stand der Architekt vor mir ,Zum erstenmal sah ich dem Herrscher von ZENTAPHER, dem Architekten Kintradim Crux, ins Antlitz - als vermutlich erster Bibliothekar, außer vielleicht den Obersten. Und ich dachte, daß dies auch mein letztes Mal sein würde.
Aber der Architekt sagte nur: „Ich möchte, daß du mich begleitest."
Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging davon, ohne mich dazu aufzufordern, ihm zu folgen. Aber ich tat es, weil die Aura des Architekten mir verriet, daß dies sein unabänderlicher Wunsch war.
Der Architekt sah aus wie ein ganz normales Wesen, abgesehen davon, daß ich eines von seiner Art noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Und daß er eine Ausstrahlung besaß, die ihn als etwas Besonderes, als ein göttliches Geschöpf auszeichnete.
Der Architekt war zweieinhalb Meter groß, hatte einen eleganten, majestätisch anmutenden Körper, der bekleidet war mit einer schwarzen, einteiligen Kombination, die schlicht war, sich aber in vollendeter Paßform an ihn schmiegte. Das Faszinierendste und Auffälligste war der Kopf, der mich an den jener Schlange erinnerte, die einmal ein exotischer Besucher nach Saraogh mitgebracht hatte. Nur hatte der Kopf des Architekten nichts Tierhaftes an sich. Er war wie von begnadeter Künstlerhand gemeißelt, ein Abbild von Macht und Glorie. Die starren Augen hatten einen durchdringenden, hypnotisierenden Blick.
Dieses Bild sehe ich immer wieder deutlich vor mir, wann immer ich an den Architekten denke. „Starr mich nicht so an, Grim Oyschkavary!" sagte der Architekt, ohne sich nach mir umzudrehen; er mußte meine Blicke im Rücken spüren. „Ich ertrage solche Aufdringlichkeiten nicht. Verhalte dich mir gegenüber wie zu deinesgleichen. Sei ganz natürlich!"
Ich versuchte in der Folge, mich so natürlich wie nur möglich zu geben, aber ich fürchte, das ist mit nicht besonders gut gelungen. Wie auch in der Gegenwart eines so legendären Trägers von Macht! Aber wenigstens tadelte mich der Architekt nicht mehr und erkannte damit mein Bemühen an.
Ich folgte dem Architekten in die Zentralbibliothek, die damals noch unversehrt war und erst bei der großen Katastrophe auf zwei Drittel ihrer ursprünglichen Ausdehnung reduziert worden ist.
Während der Architekt die Hunderte Meter langen Bücherregale abschritt, mal dieses, dann wieder ein anderes Werk herausnahm und es durchblätterte, sprach er zu mir, als sei ich jemand seines Standes und seiner Abstammung. Er erwartete von mir keine Kommentare und keine Antworten. Ich spürte es, daß er einfach nur jemanden zum Zuhören brauchte.
Ich hätte auf seine Schilderungen auch nicht viel zu sagen gewußt, denn das meiste davon verstand ich nicht. Aber ich habe mir jedes einzelne Wort, das er von sich gab, gemerkt. Ich habe nämlich ein ausgezeichnetes Gedächtnis, wie es eigentlich jedem Bibliothekar eigen ist, sein muß. „Ich habe in meinem langen Leben viele kosmische Wunder gesehen und erlebt", erzählte der Architekt. „Ich habe die Welten aufgesucht, die sich hinter den Schwarzen Löchern verbergen.
Diese nur scheinbar lebensfeindlichen kosmischen Objekte tragen manchmal die merkwürdigsten Wunder in sich. Keines davon gleicht einem anderen. Jedes Schwarze Loch hat eine eigene, unverwechselbare individuelle
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