Die Wiedergeburt
Aus den persönlichen Aufzeichnungen
von Gavril Furdui
Der Unendliche ist Vergangenheit.
Ich weiß noch immer nicht mit Sicherheit, wie es Alexandra gelungen ist, die Existenz dieser verderbten Kreatur auszulöschen, ohne selbst dabei zu Schaden zu kommen. Die wenigen Wunden, die sie aus dem Kampf davontrug, waren allesamt oberflächlicher Natur. Als hätte Gott seine schützende Hand über sie gehalten. Manchmal jedoch glaube ich, dass der Allmächtige nur wenig damit zu tun hat und ihr Überleben jemand – etwas – anderem zu verdanken ist. Wann immer mich dieser Gedanke überkommt, lässt mich die bloße Vorstellung schaudern. Seit dem grausamen Tod ihrer Familie hat Alexandra stets alles darangesetzt, diese Monster zu vernichten. Sie würde sich niemals mit den Mächten der Finsternis verbünden!
Aber hatte sie nicht genau das getan? War es nicht ihrem Bündnis mit zwei Vampyren zu verdanken, dass sie überhaupt in den Besitz des Schwarzen Kreuzes – jenes sagenhaften Artefakts, das mächtig genug war, den Unendlichen zu vernichten – gelangen konnte?
Wieder und wieder fragte ich sie, was sich in jener Nacht in der Kapelle von Rosslyn zugetragen habe. Ihre Antwort war stets dieselbe: »Ich habe den Unendlichen vernichtet.«
Während der ersten Tage nach ihrem Kampf mit dem Unendlichen war ich in großer Sorge um ihr Wohlbefinden. Niemals zuvor habe ich sie derart erschöpft gesehen. Sie verließ kaum ihr Zimmer und schlief die meiste Zeit. Zu meiner Erleichterung erholte sie sich rasch – und mit ihrer Erholung hielt auch die Veränderung Einzug in unser aller Leben.
All die Jahre waren Alexandra, Vladimir, Mihail und ich niemals getrennt gewesen, doch bereits vor unserer Ankunft in Edinburgh hatte unser Zusammenhalt erste Risse bekommen. Vladimir zeigte ihr schon damals mit zunehmender Deutlichkeit, wie wenig er von ihr hielt. Mit seinem Verhalten brachte er sie mehr als nur einmal bewusst in Gefahr – auch wenn ich sicher bin, dass er nie etwas anderes beabsichtigte, als ihr eine Lektion zu erteilen. Ich weiß, dass er mich vor einer Enttäuschung bewahren will, doch ich bin kein kleiner Junge mehr, der auf den Schutz seines großen Bruders angewiesen ist! Meine Gefühle für sie lassen sich nicht einfach auslöschen wie eine Kerzenflamme – ich habe es wahrlich oft genug versucht.
Vielleicht hat Vladimir recht und Alexandra ist kein Mensch, der lieben kann. Doch er könnte sich auch irren, jetzt, nachdem der Unendliche vernichtet und der Mord an ihrer Familie gesühnt ist, wird sich auch ihr Leben verändern. Der Wunsch nach Rache und der Hass, der sie all die Jahre antrieb, werden vergehen. Womöglich wäre sie dann endlich bereit, mich mit anderen Augen zu sehen.
Dass mein Hoffen vergebens war, begriff ich wenige Tage später, als sie kam, um sich zu verabschieden. Ich habe versucht, sie zu halten, doch sie schüttelte nur den Kopf. Vladimir würde sie nicht länger in seiner Nähe akzeptieren, sagte sie. Ebenso wenig wolle sie ihn länger um sich haben. Nur zu verständlich nach allem, was passiert war.
Vielleicht ist es so am besten. Wenn ich sie nicht mehr Tag für Tag sehe, werde ich sie vergessen und mich nicht länger nach ihr sehnen. In dem festen Bestreben, mich endlich von ihr zu lösen, ließ ich sie gehen. Obwohl ich weiß, dass sie noch immer in der Stadt weilt und sogar den Namen ihrer Pension kenne, habe ich sie bisher nicht aufgesucht.
Vor einigen Tagen schlug Mihail vor, nach Hause zurückzukehren. Doch Vladimir ist noch nicht bereit, Edinburgh den Rücken zu kehren. Er ist der festen Überzeugung, dass unsere Aufgabe hier noch nicht vollendet ist.
Auch ich habe die Kreatur gesehen. Ein Wesen, das vor dem Licht floh und aus dessen Fleisch weißer Rauch aufstieg. Erst später erfuhren wir, dass der Unendliche zu dieser Zeit bereits vernichtet war. Aber wie soll das möglich sein? Nach dem Ende des Unendlichen – des Ersten Vampyrs – waren all seine Geschöpfe erlöst. Es steht außer Frage, dass noch ein weiterer Vampyr existiert – einer, der nicht vom Unendlichen erschaffen wurde. Wir werden ihn jagen und vernichten, so wie wir es immer getan haben. Davor fürchte ich mich nicht, denn darin sind wir geübt. Auch die Vorstellung, dass diese Kreatur vielleicht weitere Menschen in seinesgleichen verwandelt hat, ließ mich eher resignieren denn erzittern. Was mir den Angstschweiß auf die Stirn treibt, ist die Erkenntnis, die mit eisigen Fingern nach mir greift. Vladimirs
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