21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
des Sturmes und dem Schlag des Donners herab bis zum lieblichen Gesang der Ssaraßur (Grille). Und die Absichten dieses Säfir, der doch tausendmal größer als eine Grille ist, sind dir verborgen geblieben!“
„Hast etwa du sie durchschaut?“
„Nein. Warum fragst du denn mich? Ich bin nur da, um dein Beschützer, Behüter und Bewahrer zu sein; weiter habe ich nichts zu tun; aber wenn es sich um geheime Absichten handelt, welche durchschaut und entdeckt werden sollen, so bist du es, der nachzusuchen und nachzuforschen hat, bis er die im Säfir steckende Grille findet.“
„Eine Grille zirpen zu hören und die geheimen Absichten eines voller Arglist steckenden Verbrechers zu durchschauen, das sind zwei sehr verschiedene Dinge; zu dem einen gehört nur ein offenes Ohr, zu dem andern aber mehr, viel mehr.“
„Dieses ‚Mehr‘ solltest du aber doch besitzen, Sihdi!“
„Du ebenso!“
„Ich bitte dich, verlange dies jetzt nicht von mir! Du weißt, daß mir alle Gaben des Verstandes und der Weisheit verliehen worden sind; aber seit ich diesen Ring des Sill am Finger habe, ist es mir, als ob ich vor den Kopf geschlagen worden sei. Ich habe dich aus der Verwechslung mit dem Pädär und diesen aus der Vermischung mit dem Säfir befreit; mehr kann ich heut nicht tun. Denke nach, so wirst du es finden!“
„Das habe ich schon getan; du aber verstandest meine Antwort nicht. Was der Säfir mit der Karawane des Kammerherrn will, das kann ich nicht wissen, aber doch vermuten.“
„Nun, und was vermutest du?“
„Daß er sie mit Hilfe der von ihm angeworbenen Ghasai-Beduinen überfallen will. Aus dieser Verbindung mit den Ghasai ziehe ich übrigens den für uns vielleicht wichtigen Schluß, daß er entweder nicht genug Sillan bei sich hat, oder daß diese sich zum Überfall einer Karawane nicht hergeben würden, weil sie keine Räuber und Mörder sind, sondern weniger verbrecherische Aufgaben verfolgen.“
„Aber der Pädär-i-Baharat war auch ein Sill und wollte uns doch morden!“
„Das kann eine Ausnahme gewesen sein. Du hattest ihn geschlagen, und wir wissen, daß Schläge nur mit dem Blut abgewaschen werden können.“
„Ich glaube nicht an eine Ausnahme, Sihdi. Nun denke ich, wenn der Säfir die Karawane des Kammerherrn überfallen will, muß er sich doch gute Beute von ihr versprechen?“
„Allerdings. Daß er dies tut, ist leicht begreiflich, obgleich ich auch da keine Gewißheit, sondern nur eine Vermutung hege. Diese Vermutung hängt mit der Majdana koma (Ausstellung) in Paris zusammen.“
„Paris, die Hauptstadt der Franken? Eine Majdana koma, wo alles gezeigt wird, was ein Volk geschafft und gearbeitet hat? Wie hängt diese mit dem Säfir und dem geplanten Überfalle zusammen?“ fragte er erstaunt. „Sihdi, du bist der klügste Mann unter allen, die ich kenne; deine Gedanken sind so scharf und zutreffend, daß ich oft, sehr oft mit Bewunderung geglaubt habe, daß dir nichts verborgen bleiben könne, aber den Säfir kannst du unmöglich mit Paris und der Majdana koma zusammenbringen!“
„Ich werde es wenigstens versuchen. Der Schah hat nämlich die Absicht, nach Paris zu reisen, um diese Majdana koma zu sehen; alle seine Beamten sind damit einverstanden; aber die Geistlichkeit ist dagegen; er jedoch weiß ebensogut wie jeder andere Moslem, wie man diese frommen Leute zur bessern Einsicht bringen kann: man muß sie kaufen. Diese schiitischen Geistlichen sind alle für Gold zu haben, vom obersten Imam-Dschuma bis herunter zum niedrigsten Mullah. Man beschenkt einige Moscheen, gibt einigen einflußreichen Imams einen klingenden Händedruck, und wenn das noch nicht hilft, so greift man zum untrüglichsten und wirksamsten Mittel, welches noch nie vergeblich angewendet worden ist, nämlich man sendet eine Karwan-i-Raschwa (Karawane der Bestechungsgeschenke) nach den heiligen Städten und kann dann sicher sein, daß der Erfolg nicht auf sich warten läßt. Die Priesterschaft vom Meschhed Ali und Kerbela hat auf die Anhänger der Schia einen Einfluß, mit welchem sich derjenige aller hohen und niederen Imams nicht vergleichen läßt.“
„Weiter, Sihdi! Ich beginne jetzt zu begreifen. Du stehst im Begriff, meinen vorhin ausgesprochenen Zweifel zu besiegen.“
„Eine solche Karwan-i-Raschwa vertraut man nur einem treuen und wohlgeprüften Mann an, den man genau kennt, von dem man weiß, daß man sich auf ihn verlassen kann. Und wen kennt der Schah bei den an seinem Hof herrschenden
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