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21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

21 - Im Reiche des silbernen Löwen II

Titel: 21 - Im Reiche des silbernen Löwen II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Augen. Ich mußte dir Wasser und Essig geben, aber dein Blick blieb dennoch ohne Seele, und ich begann zu ahnen, daß du alle deine Kräfte anstrengtest, um aufrecht zu bleiben, und mir das verschwiegst, um mein Herz nicht zu betrüben.“
    „Ja, es war eine schlimme, schlimme Zeit, lieber Halef“, nickte ich. „Ich war kein Mensch mehr, sondern nur ein Schemen. Indem wir über die Wüste jagten, flog sie wie ein trostloses Hirngespinst an mir vorüber, und die Menschen, welche bei mir waren, glichen schattenhaften Phantomen. Wenn es dir recht ist, werden wir uns nach der damaligen Zeiteinteilung richten und heut an derselben Stelle am Birs Nimrud übernachten.“
    „Ganz wie du willst, Effendi. Wie lange haben wir noch bis Hilleh zu reiten?“
    „In der Richtung, welche wir genommen haben, sind es wohl vier Stunden.“
    „So kommen wir in der größten Sonnenglut dort an und können sie vorüberlassen, ehe wir dann weiterreiten.“
    Ich hatte mich mit der erwähnten Zeitbestimmung nicht getäuscht. Gegen Mittag erreichten wir die am linken Euphratufer liegenden Palmenpflanzungen. Wir sahen die Ruine El Himmar rechts vor uns liegen, dann die Höhe des Bab el Mudschellibeh und den Hügel Qasr, welcher die Überreste der einstigen Königsburg darstellt, in deren Räumen Alexander der Große starb. Der näher liegende Hügel Amran Ibn Ali trug wahrscheinlich die berühmten hängenden Gärten der Semiramis. Auch links sahen wir eine Menge Ruinen liegen, deren gewaltigste noch heutigen Tages Babel heißt. Die Mohammedanische Sage erzählt, daß in ihrem Innern die beiden gefallenen Engel Harut und Marut an den Beinen aufgehängt worden seien und noch jetzt in derselben Stellung dort hängen. Als wir Hilleh erreichten, ritten wir über die Schiffbrücke hinüber und kehrten in einem Menzîl (Arabisches Gasthaus) ein, welches wir dem Khan vorzogen, weil es grad heut keine Gäste hatte, dafür aber ein ziemlich großes, unterirdisches Gemach, dessen Kühle eine wahre Wohltat war. Als wir die Pferde unter ein Schutzdach gestellt und mit Futter und Wasser versehen hatten, stiegen wir da hinab, wo Halef sich, während ich mich auf ein Kissen legte, mit Erlaubnis des Wirtes in die Matbach (Küche) begab, um mit eigenen Händen für uns ein Huhn mit Reis zu bereiten.
    Hilleh ist ganz aus den Ziegeln der babylonischen Trümmerhaufen erbaut worden und bildet den Hauptort des Bezirkes Divanijeh. Hier trennen sich für die Karawanen die Wege nach Kerbela und Nedschef Ali. Unter den öffentlichen Gebäuden ist die Moschee Esch Schems (Sonnenmoschee) das bedeutendste. Die zehntausend Bewohner sind schiitische Perser und Araber und so fanatisch gesinnt, daß ich mich sehr hütete, dem Wirt zu sagen, daß ich ein Christ sei. Er hätte mich keinen Augenblick bei sich geduldet, und alles, was ich berührt hätte, wäre für unrein erklärt und einer priesterlichen Säuberung unterworfen worden, deren nicht geringe Kosten ich hätte tragen müssen. Da ich von Unreinheit und Säuberung spreche, muß ich bemerken, daß die Bewohner Hillehs gar keine Veranlassung haben, auf ihre Reinlichkeit stolz zu sein; soviel ich sah, scheint die Stadt vielmehr eine Ablagerungsstätte alles möglichen orientalischen Schmutzes zu bilden.
    Unser Huhn konnten wir zwar mit Appetit verzehren, weil es von Halef selbst gebraten worden war; aber als wir uns hierauf saure Milch bestellten – Hilleh ist nämlich wegen seiner sauren Milch weithin berühmt – mußten wir die obere Schicht abschöpfen, weil sie wegen des daraufliegenden Schmutzes für uns ungenießbar war. Der Wirt, welcher dies sah und es übelnehmen wollte, fragte mit gerunzelter Stirn nach der Ursache. Halef, der in solchen Sachen immer Zungenfertige, antwortete:
    „Verzeihe uns, o Vorbild frommer Gastlichkeit! Wir sind Büßer und haben, um uns zu strafen und in der Enthaltung zu üben, ein Gelübde getan, von keiner Speise, welche wir genießen, das Beste zu essen, und du wirst doch zugeben, daß das, was wir abgeschöpft und weggeworfen haben, von deiner Milch das Beste war.“
    „Allah sei euch gnädig und gebe euch Kraft, euer Gelübde bei allen Speisen und nicht bloß bei der Milch auszuführen! Ihr hättet von dem Huhn doch auch das Beste übriglassen sollen, habt es aber ganz verzehrt!“
    „Du irrst, denn wir haben es nicht verzehrt.“
    „Ich sehe aber doch nichts!“
    „Wirklich nicht? Erlaube, daß mir um das Licht deiner Augen bange wird! Was wäre ein Huhn, wenn ihm

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