21 - Im Reiche des silbernen Löwen II
veranlasse mich nicht noch im letzten Augenblicke, dich zurückzuhalten! Du kennst meine Bedenken und zeigst mir dennoch ein Selbstvertrauen, welches mich wieder wankend macht!“
„O Sihdi, wie ist es doch so schwer, mit dir zu verkehren! Was wirst du noch alles von mir verlangen!“
„Gar nicht viel. Versprichst du mir, so vorsichtig zu sein, wie ich es wünsche?“
„Ja.“
„Nur so weit an die Leute heranzugehen, daß du sie zählen kannst?“
„Ja.“
„Sie nicht etwa zu belauschen?“
„Ja.“
„Dann sofort zurückzukommen?“
„Ja.“
„Dich auf keinen Kampf und Streit einzulassen, sondern sofort zu fliehen, falls man dich bemerken sollte?“
„Ja.“
„Wirst du diese Stelle hier schnell wiederfinden?“
„Effendi, ich habe bereits gesagt, daß ich kein Knabe bin! Hoffentlich kann ich nun gehen?“
„Das kannst du. Vorher aber will ich dir noch kurz folgendes sagen: Du hast mich förmlich gezwungen, dir diese Kundschaft anzuvertrauen; ich tue es ungern, weil mir nichts Gutes ahnt und wir grad jetzt eine höchst wichtige Angelegenheit auszuführen haben. Wenn du dich nicht in acht nimmst und durch deine Schuld in eine üble Lage gerätst, welche die Ausführung deiner Absichten verzögert oder gar unmöglich macht, so hast du dich für immer um mein Vertrauen gebracht, und ich übertrage dir niemals wieder eine Aufgabe, wie die gegenwärtige ist!“
„Sihdi, was mußt du von mir denken, daß du in dieser Weise zu mir sprechen kannst! Wenn das Hanneh gehört hätte, die Perle aller Kostbarkeiten der Erde und des Meeres, so müßte sie mich für einen Taugenichts halten, obwohl sie überzeugt ist, daß ich nicht weniger leiste, als jeder Mensch und Held zu leisten vermag. Ich entferne mich jetzt und kehre sicher glücklich wieder. Allah sei mit dir!“
„Ich wünsche, daß er lieber mit dir gehe!“ antwortete ich; dann hörte ich seine Schritte schon nicht mehr.
Es gibt Dummheiten, welche der Mensch erst später und auch solche, die er sofort einsieht. Zu der letzteren Art gehörte diejenige, welche ich jetzt begangen hatte. Kaum war Halef verschwunden, so hätte ich ihn zurückholen mögen, und es wäre gut für ihn und mich gewesen, wenn ich dies getan hätte. Aber ich hatte ihn zu lieb, als daß ich ihm diese Kränkung hätte antun mögen, welche um so größer gewesen wäre, als er den Kundschafterweg schon angetreten hatte. Ich stieg wieder in die Vertiefung hinab und setzte mich bei den Pferden nieder.
Hat man etwas getan, was man lieber hätte unterlassen sollen, so gibt das ein Gefühl des Unbehagens, welches nicht nur die Seele belastet, sondern auch den Körper ergreift; so wenigstens ist es mir. Indem ich jetzt so still auf dem Grunde der Rinne saß, war es mir, als ob ich etwas Schädliches gegessen hätte. Ich kenne Leute, welche behaupten, daß die Seele des Menschen den Körper beim Tod in der Gegend des Plexus solaris verlasse und daß dieser Plexus überhaupt in inniger Beziehung zu dem Seelenleben stehe. Ich habe weder Gelegenheit noch Zeit gefunden, mich mit irgend jemandem eines Plexus wegen herumzustreiten; aber das muß ich als ehrlicher Mann zugeben, daß ich jenes unangenehme Gefühl, welches die Folge jeder begangenen Unklugheit ist, stets an derjenigen Körperstelle empfinde, welche der Sitz meines Plexus solaris ist. Er gab mir auch jetzt seine Unzufriedenheit kund, und es war mir leider nicht möglich, ihm zu beweisen, daß er unrecht habe. Ich war, mit einem Worte, mit mir selbst höchst unzufrieden.
Ich saß eine viertel, eine halbe, eine ganze Stunde.
Dann stieg ich wieder hinauf und setzte mich oben nieder. Das Feuer brannte noch, denn ich erkannte den Schein. Wäre Halef entdeckt worden, so hätte man es wahrscheinlich ausgelöscht. Dieser Gedanke beruhigte mich. Aber es verging wieder eine halbe Stunde und dann noch eine viertel Stunde, ohne daß er zurückkehrte. Hatte er etwa seine Beobachtungen glücklich gemacht und dann aber die Stelle, an welcher ich ihn erwartete, nicht wiedergefunden. Ich wußte doch, daß er einen ganz guten Ortssinn besaß!
Als abermals eine halbe Stunde verstrichen war, wurde mir bange um ihn, und ich hielt es für meine Pflicht, mich nach ihm umzusehen. Es blieb mir nichts anderes übrig, als nach dem Feuer zu gehen. Ihn anderswo zu suchen, oder gar nach ihm zu rufen, wäre eine Fortsetzung des bereits begangenen Fehlers gewesen. Freilich mußte die Vorsicht, mit welcher ich nun zu verfahren hatte, womöglich noch
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